Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Die jazzschule luzern ist fünfundzwanzig geworden.


gespräch mit dem musikalischen leiter hämi hämmerli.

ehrgeizige pläne - und ein hauch von basisdemokratie.



Gitarrist Thomas Marmier blättert einigermassen gelangweilt in einem Lehrbuch, unvermittelt hellt sich seine Miene auf. "Total eingefahren" sei ihm das Konzert, klinkt er sich in die Jazz-Causerie ein. Es ist ein später Freitagnachmittag, Intercity Luzern-Zürich, 2. Klasse; das ziellos herumirrende Gespräch ist bei einem Steve Coleman-Auftritt in der Roten Fabrik, Zürich, stehengeblieben. Im SBB-Coupé herrscht Stimmung fast wie bei einer Klassenfahrt - nur dass die Reisenden zuvor nicht auf einem Raddampfer den Vierwaldstättersee durchpflügten, sondern von anderswo herkommen: der Berufsabteilung der Jazz Schule Luzern, Süesswinkel 8.
Marmier ist einer der Züricher Eleven, die sich wöchentlich dreimal aufmachen: Studium an einem Ort, wo der Jazz nicht gerade erfunden wurde. Dafür hat hier der katholische Konservativismus seine Stammlande, und folgerichtig wurde die Theologische Fakultät zu jener Bildungsinstitution des Kantons Luzern, die nachhaltiger als alle anderen ausstrahlte in die übrige Schweiz. Vielleicht könnte sich da aber bald was ändern - vielleicht; den Luzern hat in Sachen Musik einiges vor, und vermessene Geister behaupten, Charlie Parker werde womöglich in der Zentralschweiz bald so bekannt sein wie Johannes Paul II., aber hiervon später.

wen man alles antrifft

Der musikalische Leiter der JSL, Kontrabassist Hämi Hämmerli, 43, äussert: "Weil die Schule schlicht gut ist, kommen viele Studenten aus dem Zentrum Zürich." Seit sieben Jahren führt die 1972 gegründete Institution eine Berufsabteilung. Sechzig Studierende lassen sich derzeit an ihr ausbilden (340 sind es an der allgemeinen Abteilung). "Unser Potential sind die Lehrer", erläutert Hämmerli. Lauren Newton, Christy Doran, Heiri Känzig und Christoph Baumann; John Voirol, Robert Morgenthaler, Willy Kotoun Peter Schärli, Hans Feigenwinter, Nat Su, Herbie Kopf und andere mehr, der Lehrkörper darf sich in der Tat sehen lassen. Da ist auch jener Name, der für das Wunder der zahlreichen erstklassigen CH-Jazzdrummer schlechthin steht: Pierre Favre (er empfängt allerdings die Luzerner Schüler in Zürich).
Als Pluspunkt der Schule darf die stilistische Offenheit gelten. Behaupten böse Zungen über die Swiss Jazz School Bern, sie sei eine Art gentechnologisches Institut zur Klonung von Beboppern, würde ein solcher Vorwurf auf Luzern bezogen weit daneben greifen. Sicher: Unter den Lehrkräften sind Mainstreamer wie Roberto Bossard oder Roli von Flüe vertreten; da findet sich aber auch Christy Doran, der experimentierfreudige. Ebenso verkörpert die Schlagzeugabteilung mit dem Dreigestirn Favre, Marc Halbheer und Norbert Pfamatter die offene Haltung der Schule.

geist der anfänge bewahren

Achtzehn Jahre lang gab es in der JSL bewusst keine eigentliche Schulleitung; erst 1990 wurde eine (zweiköpfige) Co-Leitung eingesetzt, welche aber den ursprünglichen basisdemokratischen Geist wahren sollte. Auch was das Lehrer-Schüler-Verhältnis angeht, wird nicht einfach von oben dekretiert, sondern nach Möglichkeit auf individuelle Bedürfnisse eingegangen. Letztes Jahr konnten die Schüler gar ihre Lehrer benoten. Schwarze Pädagogik macht eben keinen Sinn - schon gar nicht im Jazz. Und sowieso: In den Augen von Hämi Hämmerli kann der Individualistensport Jazz nur schwer in einer Schule (die per definitionem zu einer gewissen Uniformierung neige) vermittelt werden: Diesem Paradox müsse man sich vorzu stellen! Auch das Klassieren der Leute widerstrebe - an sich - seiner Jazz-Philosophie. "Charlie Haden, basstechnisch limitiert", spitzt Hämmerli den Sachverhalt ironisch zu, "würde vielleicht an unserer Aufnahmeprüfung durchfliegen!"

altstadtcharme

Fünf Gehminuten vom HB entfernt, unweit der Kappellbrücke, liegt das dreistöckige Hauptgebäude der Schule. Das ehrwürdige, renovierte Haus steht an einer abgewinkelten Gasse. Im Mittelalter von Ställen und Misthaufen gesäumt, erhielt es den Spottnamen "Süesser Winkel". Seit 1992 ist es JSL-Sitz, nachdem der Unterricht jahrelang in Provisorien erteilt worden war. Im April 1995 konnte die unter Platznot leidende Schule weitere Räume im Haus Grabenstrosse 8 beziehen, gleich nebenan - jetzt war die Kirche endlich im Dorf.
Seit etlichen Jahren besorgt Co-Leiterin Marianne Doran den administrativen Teil der Schule, ihr Sekretariat ist zur Drehscheibe des Betriebs geworden, und fast könnte man heute vergessen, dass vor fünf, sechs Jahren noch gezittert wurde.

"Jazz Schule gefährdet", titelte die LUZERNER Zeitung, 14. Oktober 1992. Und prompt: Der luzernische Grosse Rat kürzte tags darauf den kantonalen Beitrag, was die nämliche LUZERNER Zeitung, erzürnte, warf sie doch die Frage auf, ob es denn vielleicht so sein sollte, dass die Jazzschule im Vergleich zum Konservatorium ein bisschen stiefmütterlich behandelt würde...

auf zu neuen ufern

An der JSL liess man sich durch den Nasenstüber nicht entmutigen. Heute, 1998, ist kein bisschen Krisenstimmung an der Schule zu spüren. Im Gegenteil. "Wir wollen dabei sein", unterstreicht Hämmerli. Im Februar vor einem Jahr war er mit Marianne Doran an der Musikhochschule Den Haag auf Bildungsreise. Was ihn in Holland beeindruckte - Konservatorium, Jazzabteilung, Ausbildungsstätte für Toningenieure unter ein- und demselben Dach - könnte auch in Luzern Realität werden: "Musikhochschule Innerschweiz" lautet die magische Formell Bis ins Jahr 2001 sollen sich Konservatorium , Akademie für Schul- und Kirchenmusik und JSL zusammentun zur MUSIKHOCHSCHULE des Fachhochschulzentrums Innerschweiz.
Statt Theologie also Musik? Man mag nicht an einen Zufall glauben, dass Luzern im Januar '97 den dreitägigen Europäischen Kongress für Musikpädagogik heherbergte. Zinnengekrönt umarmt der mittelalterliche Stadtkern die Reuss, mit zahlreichen Bauten der Renaissance bereits eine heitere Spur lockender Italianità ausstrahlend." Brigitte Mürner, Vorsteherin des (kantonalen) Erziehungs- und Kulturdepartements, wählte in der Kongressbroschüre nachgerade lyrische Worte im Dienste der Musik. Bietet die Stadt wohl dieser Vorzüge wegen den Nährboden zu einem übersprudelnden Musikleben?"
Unter diesen Auspizien sind die Luzerner Musikinstitute nähergerückt. Fürs längst etablierte Konservatorium wird die Kooperation finanziell fraglos wenig bringen, die Jazzschule handkehrum dürfte von der Harmonisierung auch der Subventionen am meisten profitieren." (Urs Mattenberger in der LUZERNER Zeitung ).
Für Hämi Hämmerli bedeutet das Engagement am Musikhochschulprojekt auch einen "Kampf um die Anerkennung von Jazz." Wer mit ihm vor zwei Jahren sprach, konnte Kritik hören an Konservatoriumsstudenten, welche despektierlich über die Jazzschule sprachen. Nach anfänglicher Reserve hätten sich jetzt mindestens die Konsi- und Aki-Schulleitungen geöffnet, betont Hämmerli heute.
Noch ist die Musikhochschule Zukunft. Aber an der JSL hat sie bereits handfeste Auswirkungen. Es herrscht ein geradezu sportlicher Geist, besser zu werden. Neuerdings haben Berufsschüler drei volle Tage, bisher waren es zwei, anzutreten, neue Fächer wurden eingeführt - Psychologische Pädagogik, musikalische Formenanalyse, Kontrapunkt. Es scheint manches im Stoffplan noch im Fluss, was aber Hämi Hämmerli keine Sekunde stört: "Man habe eben den Deckel offen."

mehr kitt an der schule

Im übrigen hat die Schule im fünfundzwanzigsten Jahr ihres Bestehens einen weiteren Expansionsschritt getan. Im Parterre der Liegenschaft Grabenstrasse 8 wurde eine Bar eingebaut - samt Jazzlokal (84 Sitzplätze). Nach den Worten Hämi Hämmerlis kein Club ä la Zürcher Moods, sondern eine Plattform für Diplomkonzerte und Workshops der Studenten. Es finde sich Luzern kaum eine Szene, moniert Hämmerli. Während seiner Berner Studienzeit habe er am Studienort gewohnt, abends an der Schule gejammt: "Die Connections von damals hielten bis heute!" Hämi Hämmerli wünscht sich, dass die Schüler dank Club nicht "einfach den 17.10-Uhr-Zug nach Zürich nehmen" und noch ein Bier trinken.
Gitarrist Marmier wird künftig sein Lehrbuch also vielleicht nicht mehr im "No Man's Land" zwischen Luzern und Zürich durchblättern. Vielmehr: vor einem Luzerner Bier!

Christoph Merki in "JAZZ "- Das Schweizer Jazzmagazin - 1998/3


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