Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Wie wird am Radio über Jazz und Improvisationsmusik gesprochen?


Hermann Bühler, geboren 1962 im Glarnerland, lebt in Zürich als vielseitiger Musiker (Saxophon, Klarinette und Gitarre), Musikwissenschafter, Komponist und Instrumentallehrer. Seine Interessengebiete umfassen Improvisationsmusik, indische Musik, Klanginstallationen und Jazz. Als Initiant der WIM-Radio-Days in Zürich veröffentlichte er Texte und Radiosendungen zu improvisierter Musik. Hermann Bühler führt eine eigene Musik Edition (www.dreamscape.ch) und unternimmt regelmässig Konzertreisen als Solist und Ensembleleiter in USA, Mexico, Europa und der Schweiz.

von Hermann Bühler

Anfangs Dezember 2003 fanden an der Musikhochschule Luzern vier Referate und eine Podiumsdiskussion zum Thema _Vermittlung von Jazz und improvisierter Musik in Radioprogrammen_ statt. In den Referaten wurden Aspekte wie Sprache und Musik, Ideologie und Radio, sowie Moderation und Vernetzung behandelt. An der Podiumsdiskussion diskutierten Vertreter des Parlaments, des Radios DRS, der Privatradios, der Werbebranche und der Musiker die Revision des Radio- und TV-Gesetzes (RTVG), welche voraussichtlich im Sommer 2004 vom Parlament beraten wird.

Die Referate und das Podium nahmen Bezug auf eine Studie, welche die Musikhochschule Luzern in Zusammenarbeit mit dem Schweiz Musik Syndikat SMS 2001 in Auftrag gegeben hatte und anlässlich der Projektwoche vorgestellt wurde. Diese Studie wurde von Fredi Lüscher unter dem Titel _Ist dieser Blues komponiert oder ist das auch improvisiert? – Untersuchung zur Vermittlung von Jazz und improvisierter Musik in den Medien am Beispiel der Sendegefässe der SRG/SSR_ verfasst.

Infektionen durch Musik

In einem ersten Referat erörterte der Schriftsteller Martin Hamburger Beziehungen zwischen Musik und Sprache und stellte sich die Frage, welche Auswirkungen Musikbeschreibungen auf Leser und Zuhörer haben können. Hamburger outete sich als naiver Hörer, dem im Innersten jede Musik gefällt und der schon in der Kindheit intensiv der Musik begegnete. Davon ausgehend zeigte Hamburger in sogenannten Infektionen, wie Musik in eine affektvolle Sprache gebracht werden kann und wie er in seiner Arbeit als Kabarettist Musik und Sprache verbindet. Er näherte sich darauf mittels poetischer Tagträume Hörbeispielen improvisierter Musik. Es war erstaunlich, wie unterschiedlich Höreindrücke ausfallen, wenn die Musik einerseits ohne erklärende Vorgaben, andererseits mit Informationen zu Struktur und Machart beschrieben wird. Gewürzt mit Anekdoten und Hörproben von Ragtime über Orgelimprovisationen bis hin zu virtuosem Pianojazz gab Hamburger viele Anregungen, wie Musik unterschiedlich gehört und wie stark individuelles Hören durch beschreibende Worte beeinflusst werden kann.

_Geistige Landesverteidigung_ und _Swissness_

Theo Mäusli gab in seinem Referat Einblicke in seine historische Forschung zum Jazz in der Schweiz der dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts und versuchte, die damaligen Meinungsverschiedenheiten und ideologischen Bedingungen mit den auch heute wieder aktuellen Fragen zu vergleichen, was _Schweizer Musik_ sei und wo Begriffe wie _Swissness_ oder _Service Publique_ ihre Wurzeln haben. Schon in den Anfängen des Radios wurde von Service Publique gesprochen. Dieser bezeichnete u.a. wirtschaftliche Unabhängigkeit, die Empfangbarkeit aller Programme in allen Landesteilen und die Erziehung der Massen zu einem _guten Geschmack_. Die Musikauswahl richtete sich nach den Bedürfnissen der Hörer nach _guter_ Unterhaltung. Jazz wurde vor allem von städtischen Jugendlichen verlangt, war aber als Unterhaltungsmusik nicht in allen Kreisen willkommen, und viele Unterhaltungsmusiker weigerten sich damals sogar, den neuen Stil zu spielen. Jazz war mit seinen amerikanischen Wurzeln auch ein wichtiger Bestandteil der _Geistigen Landesverteidigung_, die damals ein allseits bekanntes Instrument war, um die _Schweizer Kultur_ gegen nationalsozialistische Vereinnahmungen abzugrenzen. Doch bereits 1938 ging die Direktion der SRG davon aus, dass die Schweiz keine gemeinsame Kultur aufweise. Die Qualität der schweizerischen Kultur sei ihre Offenheit, viele Kulturen nebeneinander leben zu lassen. Dieser Grundsatz entspricht weitgehend dem offiziellen Leitwort _La Suisse n’existe pas_, das erst später in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt worden war. Ausgehend von diesen Überlegungen zeigte Mäusli anhand von Beispielen, in welchem Verhältnis der _Hot Jazz_ zur traditionellen Unterhaltungsmusik stand. Beide konkurrenzierten und bereicherten einander gleichzeitig. Daraus entwickelte sich auch Eigenständiges, wie Mäusli am Beispiel des bekannten _Margrittli-Liedes_ zeigte.
Der Markenname _Swissness_ stammt aus Wirtschaftskreisen und wird heute oft für kulturelle Werte verwendet. Parallelen zur Geistigen Landesverteidigung können zwar ausgemacht werden, dennoch wirkt auch heute die Zusammenfassung der sehr unterschiedlichen Mentalitäten der Schweiz unter einen Begriff eher künstlich. Wenn sich das Radio dennoch auf _Swissness_ beruft, sollte es verstärkt Kontakte zwischen schweizerischen Musikern und Veranstaltern fördern, kompetente Jazzmusiker ans Mikrofon holen, gleichzeitig weiterhin die internationale Szene kritisch beobachten und den schweizerischen Erzeugnissen auch in den regionalen Programmen vermehrt eine Stimme geben

An den Schnittstellen der Interessen

Im dritten Referat beschrieb Peter Bürli seine Aufgaben als Moderator und Redaktionsleiter Jazz bei Radio DRS und die Entwicklung der Jazzsendungen in den letzten zwanzig Jahren. Bürli befindet sich an der Schnittstelle der Interessen von Musiker und Hörer und möchte mit seinen Programmen einerseits kontinuierlich bessere Bedingungen für die Jazzszene schaffen. Andererseits soll aber das Radio vor allem die Bedürfnisse der Zuhörer wahrnehmen. Es sei wichtiger, das Jazz hörende Publikum zu vergrössern, als die Ansprüche einiger weniger Spezialisten zu befriedigen. Darauf stellte Bürli die aktuellen Sendekonzepte mit Publikumssendungen wie _Apero_ am frühen Abend und den über die ganze Woche verteilten Spezialsendungen wie _Jazz Special_, _Jazz aktuell_ oder _CH-Musik_ an den Randstunden am späten Abend vor.
Jazz war auf DRS seit den Anfängen im Programm und bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf allen drei Kanälen präsent. Später wurden die Jazzsendungen auf DRS 2 beschränkt, damit die Sendungen besser auf Zielgruppen ausgerichtet werden konnten. Als Trost erhielten die Sendungen damals journalistisch attraktive Sendeplätze am frühen Abend, die heute nur noch zum Teil beansprucht werden können. Bürli sieht es als Nachteil, dass der Jazz durch diese Konzentration viele unbeteiligte Hörer verlor, die vorher durch zufälliges Reinhören Jazz kennen lernen konnten.
Obwohl die Jazzhörer ein sehr kleines Publikumssegment darstellen, engagiert sich Radio DRS durch Eigenproduktionen im Studio und durch Live-Übertragung von Konzerten. Viele Studioaufnahmen, CD-Produktionen und Live-Mitschnitte von namhaften Schweizer Musikern sind in Zusammenarbeit mit Radio DRS entstanden und haben eine lebendige Szene von Musikern und Hörern, Konzerten und Sendungen geschaffen. Diese Szene wäre heute ohne den Einsatz von Radio DRS und seiner Moderatoren nicht so gut positioniert. Die Arbeit der Moderatoren vergleicht Bürli mit der von _Gate Keepers_. Durch ihre leidenschaftliche Vermittlung setzen sie inhaltliche Akzente und unterhalten gleichzeitig auch ihr Publikum.

Kreative Moderation

Im letzten Referat stellte Kjell Keller Beispiele für kreative Moderationen vor. Keller schickte voraus, dass es nicht selbstverständlich sei, dass die Hörer Musik auch vermittelt haben wollen. Oft verlange das Publikum nur nach einem unterhaltenden Teppich. Für Keller hat eine Moderation jedoch eine wichtige Aufgabe: Sie soll die Hörer zu einem besseren Verständnis der gesendeten Musik anleiten. Am Beispiel von persischer Musik zeigte er, wie komplexe Musikformen analytisch erklärt werden können. Dazu verwendet er raffinierte Schnittfolgen, Überblendtechniken und Simultankommentare. Leider sei es heute aufgrund der Sparmassnahmen nur noch selten möglich, Moderationen gründlich vorzubereiten. Zu kurz sei die Zeit, welche für die Vorbereitung der Kommentare zur Verfügung stehe. Keller sieht darin eine Verarmung der Möglichkeiten des Radios. Er wünscht sich ein seriös moderiertes Radio, das die Struktur und Funktion der Musik im Detail analysiert. Dadurch könne aufgezeigt werden, wodurch Musik Freude bereitet. Keller findet es zum Beispiel nur bedingt sinnvoll, Konzerte im Radio eins zu eins wiederzugeben. Eine Radiosendung könne ein Konzerterlebnis nicht ersetzen.

Umstrittenes Radio- und TV-Gesetz

Am Podiumsgespräch zur Öffnung des Radiomarkts diskutierten auf der Bühne der Jazzkantine als Vertreter der Musiker Urs Röllin, Präsident des Schweizer Musik Syndikat SMS, der Nationalrat Hansjürg Fehr, Mitglied der Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen, Marc Savary, Sekretär der Konferenz der Direktoren SRG, Bruno Marty als Vertreter der Quotenforderung und Geschäftsleiter _Action Swiss Music_, der Jazzredaktor Jürg Solothurnmann, Radio DRS, der Werbefachmann Urs Leierer, Organisator des Festivals _Blue Balls_, und Peter Scheurer, Geschäfts- und Programmleiter des Solothurner Privatradios _Radio 32_.
Der schweizerische Radiomarkt wird im Moment von fünf Sendern des Radios DRS, 50 Lokal- und Privatradios, sowie den Sendern von _Radio Svizzera Italiana_ und _Radio Suisse Romande_ beansprucht. Das geltende Radio- und TV-Gesetz (RTVG) stammt aus dem Jahr 1991 und regelt Programmauftrag, Gebühren, Gebührenverteilung, Werbung und die Kontrollorgane der Radios. Die vorliegende Revision des RTVG reagiert auf die aktuellen Entwicklungen im Medienmarkt. Der Markt soll für die Privatradios geöffnet, gleichzeitig das Monopol der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft (SRG) nicht aufgegeben werden. Die SRG sollen wie bis anhin weitgehend durch Empfangsgebühren, die Privatradios durch Werbung finanziert werden. Die Privatradios und Lokalradios können nur bedingt einen Anteil der Gebühren beanspruchen.
Im Gespräch wurden zuerst Begriffe wie Service Publique, Gebührensplitting und das Verhältnis von SRG, Privatradios und Lokalradios erörtert. Die SRG ist als Hauptempfänger der Empfangsgebühren vom Gesetz dazu verpflichtet, den Service Publique aufrecht zu erhalten. Das bedeutet unter anderem, dass die Sendungen der SRG an jedem Ort in der Schweiz empfangbar sein und die Programme lokale Anliegen aufgreifen müssen. Diese Aufgabe übernehmen auch Lokalradios, die dadurch einen Anteil an den Empfangsgebühren beanspruchen können. Demgegenüber dürfen die Privatradios zwar keine Empfangsgebühren erheben, sie können jedoch ihre Werbefenster freier als die SRG gestalten. Auch die Privatradios haben Anrecht auf einen Gebührenanteil, wenn sie einen Service Publique nachweisen können, also z. B. lokale Nachrichten senden.

Qualität der Programme

Die SRG will mit ihrem Service Publique gegenüber den Privatradios qualitativ eindeutig die Nummer eins bleiben. Doch wird es sowohl für die SRG wie auch für die Privatradios zunehmend schwieriger, Programme mit anspruchsvoller Musik zu senden, da diese meistens nicht in ein Werbeumfeld passen und die Sendungen heutzutage auch bei der SRG nach Marktkriterien unter dem Druck der Einschaltquoten beurteilt werden. Forschungen haben gezeigt, dass nur bestimmte, kommerziell ausgerichtete Musikrichtungen ein lohnendes Umfeld für Werbung ergeben. Offenbar wechseln die meisten Hörer das Programm, sobald Stücke gesendet werden, die nicht in dieses kommerzielle Korsett passen. Dies tun erstaunlicherweise auch Hörer, die - wenn sie danach gefragt werden – anspruchsvolle Musik bevorzugen.
Damit Schweizer Musiker in einem solchen Umfeld mit kreativer und auch kommerzieller Musik überleben können, fordert die _Action Swiss Music_ eine Quote für Schweizer Musik am Radio. Die Vertreter der SRG und die Parlamentskommission lehnen solche Bestrebungen jedoch als kontraproduktiv ab. Wie die Erfahrungen in Frankreich gezeigt hätten, entstanden durch das Quotengebot neben der nationalen Quote auch Neuheiten- oder Jugend-Quoten. Dies hatte zur Folge, dass die Quoten bald von den Radios unterlaufen wurde: Quotenstücke wurden einfach in der Hälfte ausgeblendet. Nach hartnäckigen Verhandlungen konnten sich die Vertreter der _Action Swiss Music_ und der SRG immerhin auf eine Charta einigen, welche den Platz von Schweizer Musik am Radio als Teil des Service Publique definiert. Die Privatradios sind von einer solchen Charta wohl weitgehend ausgenommen. Sollten die Quoten nicht im Gesetz verankert werden, ist diese Charta eine Abmachung, der nur bedingt Folge geleistet werden wird. Es sollte hier also genau beobachtet werden, wie sich die Dinge in den Abstimmungen im Parlament entwickeln. Zuletzt ist es wohl weitgehend vom Einsatz der Musiker und der Programmgestalter der privaten und staatlichen Radios abhängig, ob, welche und wie viel schweizerische Musik am Radio gesendet wird.

Mit einigen zum Teil geharnischten Voten aus dem Publikum ging die aufschlussreiche Diskussion in die Schlussrunde. Ein Zuhörer forderte das Ende der gleichmacherischen Radioprogramme. Die Zuhörer könnten nicht für dumm verkauft werden. Auch wurde gefordert, dass gleichstarke Spiesse für Privatradios und SRG gelten sollen. Es zeigte sich, dass die Gesetzgeber mit der Revision des RTVG eine komplexe Aufgabe zu lösen haben, und dass das Gesetz für alle Beteiligten - SRG, Lokal- und Privatradios, in- und ausländische Unternehmer, Musiker und Hörer - weitreichende Auswirkungen haben wird. Offenbar können in diesem umkämpften Markt die Interessen anspruchsvoller Zuhörer und auch Musiker nur durch gesetzlich definierte Vorgaben wie Gebührenregelungen und Quoten _geschützt_ werden. Es scheint eine Tatsache zu sein, dass eine Mehrheit ein seichtes Begleitradio toleriert und nur eine kleine Minderheit sich ein anspruchsvolles Radioprogramm wünscht. Für die Musiker aus dem Jazzbereich, die vergleichsweise eine kleine Hörergemeinde ansprechen, ist die Präsentation ihrer Musik am Radio überlebenswichtig. Neue Kanäle könnten sich jedoch in Zukunft auch durch die Sparten- und Internetradios eröffnen.

3. Februar 2004 H. Bühler

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