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Die Verabschiedung eines Freundes – Zum Tode von Fredi Lüscher
Es ist eine gute Stunde nach Mittag, als ich endlich beim Feuerwehrhüsli in
Ürzlikon parkiere. Ich komme vom Unterrichten, bin spät dran, im Verkehr
stecken geblieben wegen des Schnees, dabei ist es kurz vor Ostern. Und jetzt
ruiniert dieser Scheissschnee auch noch meine Schuhe. Ich stapfe hinüber zu
Fredis Häuschen und im Moment, als er die Türe öffnet und mich mit seiner
Sonnigen Art empfängt, ist auch meine schlechte Laune weggeblasen. Drinnen
ist es wohlig warm. "Der Ofen wollte zuerst nicht so recht, zog nicht,
erklärt er mir. Auch meine Entschuldigungen von wegen zu spät etcetera sind
unnötig: "Ich habe auf dich gewartet mit dem Risotto, war mir sicher, dass
die Fahrt länger dauern würde bei diesem Wetter...". Dann stehen wir in der
Küche, diskutieren bald über Bildungspolitik und wie die PolitikerInnen den
Musikunterricht Wegsparen wollen, bald über die Leinentragpflicht bei
Hunden. Fredi hantiert mit dem Risotto, giesst regelmässig Bouillon nach,
ich lehne am Kühlschrank, schaue zu, nehme einen Schluck Wein und verliere
mich in Gedanken.
Kennen gelernt haben wir uns eigentlich erst vor etwa 1 1/2 Jahren. Fredi
unterrichtete vor Jahren an der Schule Sprachen, an welcher ich heute Musik
lehre. Bei einem Schulfest haben sich dann unsere Wege gekreuzt. Kurz
darauf jammten wir das erste Mal bei ihm zu Hause. Musikalisch stammen wir
aus verschiedenen Welten, Fredi aus der freien Musik, ich vom Jazz und
Jazzrock. So war unsere erste musikalische Begegnung nicht einfach, keine
Liebe auf den ersten Blick. Doch Fredis unglaublicher Offenheit und Neugier
gegenüber Neuem ist es zu verdanken, dass er einige Monate später mich
anrief für diesen Gig im Tessin. Er hätte auch Nat Su anrufen können. Das
wäre die sichere Variante gewesen, hätte funktioniert, die beiden waren ein
eingespieltes Team. Aber er hat sich für die unsichere, die riskante
Variante entschieden und den Buergi angerufen, mit welchem es beim Jam doch
eher holprig zuging. Fast überflüssig zu sagen, dass die Rechnung
aufgegangen ist, dass aus unserer Andersartigkeit Neues entstanden ist und
wir die anfänglichen Unzulänglichkeiten überwinden konnten.
Auf der Rückfahrt, in derselben Nacht, hat er mir Teile seines Lebens
erzählt. Wenig über den Beruf, mehr über sich, seine Ex-Frau, seine Tochter
und über seinen Herzinfarkt vor 12 Jahren und darüber, wie die Ärzte ihm
danach noch drei Jahre zu leben gaben. Wie er diese drei Jahre in Saus und
Braus gelebt und in dieser Zeit sein ganzes Vermögen verbraucht hat - aber -
dann doch nicht gestorben ist. Er sitzt neben mir am Steuer und grinst.
"Tja, und dann musste resp. durfte ich von Neuem beginnen." Und er erzählt,
wie es sich anfühlt, wenn man quasi ein zweites Leben erhält, was wichtig
bleibt und was kaum mehr zählt. Wie es auch schwierig sein kann, wieder ins
Leben zurück zu finden, nachdem man sich drei Jahre hat gehen lassen. Ich
sitze daneben, bin tief beeindruckt von diesem Mann, der so viel Lebenswille
und so viel Lebensfreude ausstrahlt, welcher mit seinen 60 Jahren so jung
Wirkt und der mir, indem er mich zu diesem Gig eingeladen hat, seine
Freundschaft auf eine wunderbare Weise anbietet.
Mittlerweile ist es fast 16 Uhr, den Risotto (ausgezeichnet, mit in Öl
gebratenen und mit Grand Marnier abgelöschten Salamistreifen garniert) schon
lange verspiesen, die Espressotassen längst leer auf dem Tisch. Wir
diskutieren (wie schon oft) über das Altrisuoni Marketing und auch jetzt
verblüfft mich Fredi wieder mit seinen Ideen. Eigentlich bin ich doch der
fast dreissig Jahre Jüngere und sollte die modernen, innovativen Ideen
liefern, aber Fredi fällt immer etwas noch Verrückteres ein. Er spricht auch
über ein neues Projekt: "Es muss mal etwas ganz anderes sein. Keine CD,
vielleicht etwas mit Ton und Bild kombiniert." "Eine DVD?", frage ich
zurück. "Ja, vielleicht, wer weiss...". Und rätselt weiter.
Genau so werde ich ihn in Erinnerung behalten, jetzt, nachdem ihm sein Herz
doch noch einen Strich durch seine Zukunftspläne gemacht hat: Immer auf der
Suche nach Neuem, neugierig, offen für alles und sei's noch so verrückt,
nichts verurteilend, vital und eine Lebensfreude ausstrahlend, die ansteckt.
Als Freund immer da für einen, hilfsbereit, einfühlsam, warmherzig und top
zuverlässig. Und immer im richtigen Moment eine Portion Schalk
bereithaltend.
"Das nächste Mal treffen wir uns bei mir und ich koche", sage ich, als wir
uns verabschieden. Und da ist es wieder, das kindhaft Freudige und er meint:
"Ich komme gerne."
© Martin Buergi, Jazz'n'More 6/06
kl. In seinem Kopf schlummerten noch zahlreiche Pläne, ein letztes «Work in Progress» widmete er den Komponisten Jimmy Giuffre und Olivier Messiaen. Leider wird das Projekt nun nicht mehr realisiert, der Zürcher Jazzpianist Fredi Lüscher starb am 30. Mai an den Folgen eines Herzinfarkts. Die Karriere Lüschers, der am 1. Dezember 1943 in Zürich geboren wurde, verlief untypisch: Hauptamtlich war er bis 1985 Sprachlehrer, bevor er sich für die wirtschaftlich dornenvollere Tätigkeit eines Jazzmusikers entschied. Bemerkenswert ist dabei, dass er sich als Autodidakt gerade Komposition und Arrangement widmete. So bearbeitete er Stücke von Duke Ellington, Billy Strayhorn, Thelonious Monk oder Carla Bley zu Meisterwerken subtiler Klangfarben. Überdies liebte Lüscher aber auch das freie Fabulieren. Ausserdem war er als Dozent an der Musikhochschule Luzern tätig sowie als Publizist und Gestalter von Radioprogrammen. Er hinterlässt eine Handvoll Aufnahmen, darunter wunderbare Alben mit Musik von Ellington und Carla Bley.
© Nick Liebmann, Neue Zürcher Zeitung, Mittwoch, 07.06.2006
Der Pianist Fredi Lüscher, 1943 geboren, ist letzte Woche an einem Herzversagen gestorben, wie aus seinem Freundeskreis verlautet. In Zürich konnte man den Musiker in jüngerer Zeit etwa am Unerhört-Festival hören. Lüscher, ursprünglich Sprachlehrer in Zug und autodidaktischer Pianist, hatte sich seit 1985 als Berufsmusiker betätigt. Unter anderem machte der im zürcherischen Uerzlikon wohnhafte Jazzer durch mehrere Platten mit dem Zürcher Saxofonisten Nathanael Su oder durch seine Trio-Arbeit mit Daniel Studer und Marco Käppeli von sich reden. (cme)
© Christoph Merki, Tagesanzeiger, Dienstag, 06.06.2006
Für die Musikhochschule Luzern und das Schweizer Musik Syndikat SMS führte er zusammen mit Herrmann Bühler eine Untersuchung zur Vermittlung von Jazz und improvisierter Musik in den Medien am Beispiel der Sendegefässe des Schweizer Radios durch, welche 2004 publiziert wurde.
Nachruf von Peter Bürli aus der Sendung 'Jazz Aktuell' vom 6. Juni 2006 mit Interviewausschnitten und einem Statement von Nathanael Su.
Mit Julie Lüscher zusammen produzierte er seit einigen Jahren die Jazzsendung 'Sonus Klaxon' auf Radio Lora. Hören Sie trotz schechter Tonqualität seine Stimme in der letzten Ausgabe vom 14. Mai 2006 hier.
Auf der Website des Labels Altrisuoni findet sich ein kurzer Überblick über sein musikalisches Schaffen. Weitere Angaben zu seiner Person und seinem Schaffen bei Musinfo.
-> MHS Luzern, Jazzabteilung
-> MHS Luzern, Institut Forschung & Entwicklung
-> Hermann Bühler
-> Schweizer Musik Syndikat SMS
-> Musinfo - die Datenbank zur Schweizer Musik
-> Altrisuoni, The Jazz Label
-> Schweizer Radio DRS2
-> Jazz'N'More
-> Radio Lora, Zürich
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