"In Italy, for 30 years under the Borgias, they had warfare, terror, murder and bloodshed, but they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci and the Renaissance. In Switzerland, they had brotherly love, they had 500 years of democracy and peace, and what did they produce? The cuckoo clock.." | |
|
Nun ja, auch den Jazz haben die Schweizer nicht erfunden. Aber immerhin: die erste brauchbare europäische Beschreibung von Jazz stammt vom Schweizer Dirigenten Ernest Ansermet, eine der ersten wissenschaftlich haltbaren Publikationen über Jazz vom Wahlschweizer Jan Slawe, die erfolgreichste Tanz-Jazzband im Berlin der Dreissigerjahre wurde vom Schweizer Teddy Stauffer geleitet, und einige heutige Schweizer Jazzmusiker – wie etwa George Gruntz, Daniel Humair, Irène Schweizer oder Thierry Lang – haben einen Platz im Jazzolymp ergattert und damit unsere Ehre als Jazznation gerettet. Die Zeit drängt In unseren Nachbarländern ist die Geschichte des einheimischen Jazz weitgehend aufgearbeitet. In der Schweiz bestehen zwar wertvolle Materialsammlungen, und in den Jazzausstellungen von 1976 und 1993 wurde einiges davon schon öffentlich gezeigt, es gibt auch Publikationen über Einzelaspekte, einzelne Regionen und Zeiträume. Seit 1973 ist aber keine aktualisierte Discographie des Schweizer Jazz mehr erhältlich, die Forschung über die frühesten Formen des Schweizer Jazz beschränkt sich auf eine Broschüre – es gibt also noch viel zu tun! Und, wie sich immer mehr zeigt: es muss bald etwas unternommen werden! Viele der Musiker und Musikerinnen der vorherigen Generationen sind nicht mehr unter uns oder sind nicht mehr ansprechbar, viele Erinnerungen und Dokumente sind schon verloren gegangen. Aufnahmen von vielen wichtigen Musikern sind schwer zugänglich oder sogar – wie leider beim Schweizer Radio geschehen – gelöscht worden und damit unwiederbringlich verloren. Die Geschichtsschreibung der Schweiz weist auch Lücken auf, die für die Jazzgeschichte Probleme aufgeben: über die Zeit des 2. Weltkriegs sind Unmengen von Publikationen vorhanden, über die Zwanziger- und frühen Dreissigerjahre hingegen sind nur wenig Informationen zu finden, die für uns relevant wären. Zum Glück haben einzelne Forscher rechtzeitig mit dem Sammeln von Material begonnen, so etwa Otto Flückiger mit seiner gruppe jazzdocumentation und seit einigen Jahren das Swiss JazzOrama Uster: Mengen von Unterlagen, die aber erst teilweise kritisch durchgesehen und übersichtlich geordnet sind. Wie kam der Jazz in die Schweiz? Das Wort "Jazz" findet sich erstmals 1913 in musikalischem Zusammenhang in einer Publikation. Um die Urheberschaft des Jazz wird immer noch gestritten – neben Jelly-Roll Morton und Nick LaRocca haben auch andere Musiker behauptet, sie hätten den Jazz erfunden“, und in Lexika geistert immer noch die Geschichte von einem "Jasbo" Brown herum, der an allem schuld sein soll. Klar belegbar ist auf jeden Fall, dass im Februar 1917 die Original Dixieland Jazz (Jass) Band“ ihre ersten Titel aufnahm und dass diese Aufnahmen sowie der Sensationserfolg der Band in New York den Jazzboom (die grösste Musikrevolution der neueren Geschichte") auslösten. Im September dieses Jahres kamen die Platten auf den Markt und waren wenige Wochen später schon in England und Frankreich erhältlich. 1919 trat die ODJB in England auf und wurde sofort von englischen Bands kopiert. In Deutschland waren die Schallplatten erst um 1920 erhältlich, da der Krieg und die nachfolgende Blockade Deutschlands den Import verhinderte. Die erste Generation des Schweizer Jazz Um 1922/23 taucht – im Gefolge der damaligen Begeisterung für alles Amerikanische – der Begriff “Jazz“ immer häufiger auf. Radio Lausanne, die erste Radiostation der Schweiz, überträgt regelmässig die Musik der "Jazzband de la SSR" unter der Leitung von Charles Pilet, und deren Repertoire beinhaltet, neben Foxtrots und Tangos, auch einige Titel, die als "Blues" bezeichnet werden. In Basel gründen 1924 einige junge Musiker die "Lanigiro Syncopating Melody Kings", und junge Musiker wie der Pianist Berto Bornand, der Saxophonist Edmond Cohanier und etwas später der Berner Pianist Ernest Berner fahren nach Paris, um dort mehr über ihre Lieblingsmusik zu erfahren. Unterdessen tauchen auch die ersten Schallplatten mit Aufnahmen von King Oliver, Fletcher Henderson und Louis Armstrong auf, und für die jungen Jazzfans tun sich neue Welten auf. Einige entdecken ihre pädagogische Ader und beginnen, im Freundeskreis und später in Clubs und Radiosendungen, die Botschaft vom einzig richtigen Jazz aus New Orleans und Chicago zu verbreiten. Jazz, "geistige Landesverteidigung" und die Amateure 1939 sind die Grenzen geschlossen, und in der abgeschotteten Schweiz haben die Tanzmusiker ohne ausländische Konkurrenz recht gute Zeiten. Jazz ist die Anti-Musik zum Militärmarsch der Nazis, und patriotische Filme wie "s'Margritli und d'Soldate" etablieren Teddy Stauffer auch bei Leuten, die den "Negerjazz" ablehnen. Es entsteht der "Dialekt-Swing" der Geschwister Schmid mit Schlagern wie "Swing in Switzerland" und "Stägeli uf, Stägeli ab". Die heutige Schweizer Jazzszene Vielfältiger, professioneller, auch eigenständiger denn je präsentiert sich heute der Schweizer Jazz. Eine fast nicht mehr überblickbare Zahl von jungen, oft hochtalentierten Akteuren kämpft um Beachtung in einer multidimensional gewordenen Musikwelt, in der die Orientierung immer schwieriger geworden ist. Darum ist es nützlich, einmal in die Vergangenheit zurückzublicken und sich zu vergegenwärtigen, wie diese heutige Jazzwelt entstanden ist. Bruno Spoerri Jazz in der Schweiz – das Buch. Im Auftrag der Musikhochschule Luzern arbeitet Bruno Spoerri an einem Buch, das die Geschichte des Schweizer Jazz von ca. 1920 bis heute beschreibt - so gut und grundlegend recherchiert wie nur möglich, aber ohne den unmöglich zu erfüllenden Anspruch auf absolute Vollständigkeit. Es soll leicht zu lesen sein, den "Groove des Jazz“ vermittteln, aber auch das geistige Umfeld berücksichtigen. Die Autoren sollten wenn möglich persönlich involviert sein in die Periode, die sie beschreiben, ohne deswegen den kritischen Abstand zu verlieren und in rein Persönliches abzugleiten. Das Buch soll etwa 300 Seiten umfassen, dazu kommt eine CD-ROM: Sie enthält ein Biografisches Lexikon mit etwa 1000 Einträgen, eine Diskographie (erstellt von Arild Widerøe), sowie weitere Unterlagen wie z.B. ein bereinigtes Teilnehmerverzeichnis des Amateur-Jazzfestival Zürich und eine Bibliographie. Die Publikation im Chronos Verlag Zürich sollte Mitte 2005 vorliegen Für die Sammlung von Biografien verstorbener Musiker besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Swiss JazzOrama Uster und der Gruppe jazzdocumentation Wallbach. Für die heute tätigen Musikerinnen und Musiker wurde ein Fragebogen ausgearbeitet, der im Internet an der Adresse hier zugänglich ist – er ist ebenfalls erhältlich im Sekretariat der Fak. III der Musikhochschule Luzern. Alle professionell und halbprofessionell tätigen Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker sind aufgerufen, Angaben für dieses Lexikon bis spätestens August 2004 einzusenden. Mehr Infos zu Bruno Spoerri: www.computerjazz.ch |