Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Jazz an einer Schule lernen: Geht das?


Seit einigen Jahren gibt es so etwas wie eine Akademisierung des Jazz, der in Bildungsinstitutionen vermittelt wird. Früher aber waren die Autodidakten der Normalfall, sperrige Figuren wie Monk oder Parker schrieben Jazzgeschichte. Kommt die Jazzausbildung kurioserweise in einen Widerspruch zur Geschichte des Jazz? Fragen an den Leiter der Fakultät III, Hämi Hämmerli.

Karrikatur Bird in Lucerne (© P. Rietweg)

Charlie Parker, Inbegriff des Jazz-Desperados: Ob er sich in Luzerner Schulbänken wohlgefühlt hätte? Der musikalische Leiter der Fakultät III, Hämi Hämmerli, sagt: "Sperrige Leute sind wichtig, die darf man nicht verlieren!" Karikatur: P. Riedweg.


Hämi Hämmerli, früher lernte man Jazz ‘on the road’. Ihn aber in eine Institution mit normierten Abläufen zwängen - geht das?

Hämmerli: Autodidakten, die weit kommen, gibt es nach wie vor. Beide Wege sind nach wie vor offen. Es hat aber gewisse Vorteile, wenn man eine Institution besucht. Nicht zuletzt wegen allfälliger Stipendien. Neben dem gesamten Lehrplan ist auch das soziale Umfeld sehr wichtig. Fünf oder zehn Jahre nach der Ausbildung stellt sich womöglich heraus, dass das das Wichtigste war. Die Connections halten.

Besteht der Vorteil einer Institution auch darin, dass man in ein Umfeld von Jazzern hineinkommt? Wir sind ja nicht in New York, wo der Jazz in die Kultur integriert ist, ein autodidaktischer Weg also leicht ist ...

Hämmerli: Ja, sicher. Man könnte sogar behaupten, ein Jazz-Studium sei der bequemere Weg. Der Autodidakt muss seine Sachen selber zusammensuchen. Eine Schule aber bedeutet das Zusammentrommeln von Kompetenz. Im Lehrplan wird das Wissen auf dem Tablett präsentiert.

Wo sehen Sie die Nachteile einer Schule? Aus irgendeinem Grund hat der Jazz doch lange neben den Institutionen gespielt.

Hämmerli: Eine Schule hat immer die Tendenz zu einer gewissen Uniformierung. Man hat 15 Individualisten, die den gleichen Lehrstoff haben. So kommt es immer wieder dazu, dass gewisse Studenten das eine Fach für toll, das andere für überflüssig halten. Aber sonst - mir kommen eigentlich kaum Nachteile in den Sinn ...!

Kommen Phantasie und Innovation innerhalb von Lehrplänen zur Geltung?

Hämmerli: Ich meine, in Luzern ja. Lehr- (oder lieber Lern-) programme hängen mit Lehrpersonen zusammen. Ein Workshop mit Lauren Newton ist anders als einer mit Standards. Aus dieser Widersprüchlichkeit kann ein Student viel herausziehen. Er muss auch so noch viel selber zusammentragen. Das ist im Endeffekt gar nicht so anders als bei einem, der in New York autodidaktisch lernt.

Jazz ist von seiner ganzen Anlage her anders als sog. "Klassische Musik". Jazzpianisten Kenny Barron sagt: "If you don’t make mistakes, you don’t play Jazz." Wie kann man im Wissen um einen solchen Satz unterrichten?

Hämmerli: Ich glaube, diese Bemerkung Barrons hat fast System in der Jazzschule (schmunzelt). Natürlich weiss ich nicht im Detail, wie jeder einzelne Workshop abläuft. Aber ich gehe davon aus, dass grösstenteils im Geiste Barrons unterrichtet wird. Ein sehr guter Satz übrigens. Ich wende ihn als Schulleiter auch auf den Lehrplan an. Wir erlauben uns Experimente, um vielleicht nachher festzustellen: Das war das Falsche! Barrons Feststellung beinhaltet eben auch, dass man Risiken auf sich nehmen muss, um weiterzukommen

Anders gesagt: Ihr müsst noch experimentieren! Die sog. "Klassische Musik" hat in ihrer langen Geschichte ein riesiges Arsenal an Methoden entwickelt, der Jazz ist in seiner Didaktik noch unterentwickelt...

Hämmerli: Teilweise ja. Es gibt Lehrmittel noch und noch, aber nicht selten ist z.B. bei einem Buch das dritte Kapitel gut, das zweite dagegen unbrauchbar. Aus diesen Gründen haben wir nun angefangen, eigene Lehrmittel (z.B. für jazzbezogene Harmonielehre) zu entwickeln. Dabei schöpfen wir aus bestehendem Material und bauen etwas Neues, Luzern-spezifisches.

Zurück zur Ausgangsfrage: Warum eine Hochschule für Jazz? Hängt das auch damit zusammen, dass der Jazz immer höhere Anforderungen stellt?

Hämmerli: Ja, sicher, angefangen beim Blatt-Lesen bis zum Komponieren. In den letzten zwanzig Jahren ist der kompositorische Anteil im Jazz stark gestiegen. Dazugekommen sind im Jazz auch neue musikalische Stilrichtungen, die verarbeitet werden müssen: Techno- und Drum ‘n’ Bass, HipHop... Dann ist der Konkurrenzdruck sicher auch grösser geworden. Andererseits gehört der Jazz als grösste musikalische Innovation des 20. Jahrhunderts sicher auf die selbe Stufe wie die klassische Musik. Endlich bekommt der Jazz auch in der Schweizer Bildungslandschaft die Anerkennung, die er im sozio-kulturellen leben schon längst hat.

Man nimmt in Luzern auch Entwicklungen auf, die noch nicht unbedingt etabliert sind?

Hämmerli: Nicht im ordentlichen Lehrplan, aber wir räumen dem Platz ein. Man darf das Innovative nicht abwürgen, im Gegenteil es muss gefördert werden. Das ist die grosse Gratwanderung: Einerseits sagen wir einem Studenten - das musst du können! Gleichzeitig darf das nicht zum Dogma werden. Die Studenten sollen lernen, die Legosteine selber zusammensetzen zu können.

Haben Sie denn vom Lehrprogramm her noch genug Freiräume dazu?

Hämmerli: Die Freiräume sind sicher eingeschränkt. Wir hatten Leute, die nach drei Semestern gingen. Im Gespräch mit ihnen habe ich sie auf die Vorteile eines geregelten Studiums, des sozialen Umfelds und auf die Stipendienfrage hingewiesen. Am Ende sagte ich aber: Wenn das dein Weg ist, nimm ihn!

Kleines Gedankenspiel: Hätte sich Charlie Parker wohlgefühlt in Luzern? Hätte er sich an Jazzschule entwickeln können?

Hämmerli: Ich hätte mir alle Mühe gegeben, dass er sich wohl fühlt (lacht). Sperrige Leute sind wichtig, die darf man nicht verlieren. Wir haben schon ein paar schräge Vögel an der Schule, die schnell sagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Ich fände es schade, wenn die nicht mehr kämen.

Will die Fakultät III auch einen Musikertypus heranbilden, der sich polyvalent in verschiedensten musikalischen Gewässern tummelt? Originalität ist sekundär ...

Hämmerli: So kann man das nicht sagen. Wenn ich an einem Diplomkonzert eigenständige Konzepte höre, freut mich das am meisten. Für das Diplomkonzert gibt es ja weder stilistische Vorschriften noch eine vorgeschriebene Stückliste.

Wie beurteilen die anderen Fakultäten diesen freien Approach?

Hämmerli: Ich weiss nicht genau, ob an den Fakultäten I und II die Stoffvorgaben strikter sind. Wir sind der jüngste Partner in der Hochschule. Wir Jazzer wollen und brauchen eine gewisse Narrenfreiheit. Es wird geschätzt, ja begrüsst, dass wir Vitalität und Frechheit hereinbringen.

Mit Hochschule assoziiert man den berühmten Elfenbeinturm, wo man sein Instrument jenseits der realen Lebensbedingungen spielen lernt. Ist das nicht eine Gefahr?

Hämmerli: Doch. Für meine Person und stellvertretend für den Grossteil unserer Lehrpersonen kann ich aber sagen, ich könnte meinen Job (den ich übrigens mit Marianne Doran teile) an der Fakultät III nicht machen, wenn ich nicht selber Musiker wäre. Ich kenne die negativen Erfahrungen im Leben eines Jazzmusikers: Dreihundert Kilometer fahren, um vor vier Leuten zu spielen. Aber wir haben mit unserer "Jazzkantine" (dem Clublokal der Fakultät III) ein gutes Mittel gegen den Elfenbeinturm! Jeder Student kann/muss hier spielen. Im übrigen versuchen wir auch auf anderem Wege die Bodenhaftung nicht zu verlieren: Suisa-Vertreter waren bei uns, Peter Bürli von Radio DRS, die Programmleiter des Zürcher Jazzclubs Moods etc. Unter Umständen ist Business-Wissen wichtiger als ein nochmaliger Ausbau des Lehrplanes.


"Den Jugendlichen abholen"

Jugendliche machen in der Regel mindestens so gern Populärmusik wie Klassik. Eignen sich darum Absolventen der Jazzabteilung besonders als Instrumentallehrer?

Hämi Hämmerli, Jazz gilt als komplizierte Musik. Wie kann man so Jugendliche unterrichten, die vielleicht die ersten Gehversuche machen?

Hämmerli: Jazz ist nicht nur komplex, das Gegenteil trifft auch zu. Bei den "Tagen für improvisierte Musik" hat Peter Rüedi in dieser Hinsicht Interessantes gesagt, als er die Offenheit des Jazz gegenüber dem Trivialen ansprach. Der Jazz begann als Tanzmusik, wurde in den Vierzigern mit dem Bebop abstrakter. Das Element des Trivialen aber blieb. Ein Aspekt dabei ist die Rhythmik. Der Jazz hat sich nie gescheut, südamerikanische Tanzrhythmen oder heute zum Beispiel Drum ‘n’ Bass einzubeziehen. Rüedi sagt augenzwinkernd, der Jazz sei in seiner Geschichte für jeden Verführer bereit gewesen - komme er aus den besten oder fragwürdigsten Kreisen...

Jazz ist also nicht elitär und abgehoben?

Hämmerli: Der Jazzmusiker ist bei den Leuten. Offensichtlich hören alle mal Charts oder schauen Viva. Besonders was ‘Groove’ ist, begreift jeder schnell. Groove ist das A und O im Jazz. Unsere Absolventen haben also einen klaren Begriff, mit welcher Musik Jugendliche in Berührung kommen. Sie können eine Brücke schlagen, die Jugendlichen abholen. In einem zweiten Schritt können sie ihr ganzes Wissen über Improvisation, Theorie und Instrumentaltechnik und ihre Erfahrungen in Methodik und Didaktik abrufen. Kurz: Sie sind in der Lage, einen zeitgemässen Unterricht anzubieten.

Bleibt der Kunstaspekt dabei nicht auf der Strecke? Jazzer vermitteln nur Trivialitäten, machen nichts für die Entwicklung der Jungen?

Hämmerli: Nein, natürlich tun wir etwas für die Entwicklung. Das ist integriert. Die Beschäftigung mit Musik über ein Instrument stellt Anforderungen an beide Gehirnhälften, was bewiesenermassen die Lernfähigkeit in allen Bereichen fördert. Ausserdem sind die Instrumentalstunden oft das einzige Fach, das ein Schüler im Einzelunterricht besucht. Da hat der Instrumentallehrer oft eine Betreuungfunktion, die über das rein Musikalische hinausgeht

Absolventen der Fakultät III unterrichten besonders realitätsnah - hört man von Musikschulleitern ein Echo dieser Art?

Hämmerli: Das hängt stark von den jeweiligen Musikschulleitern ab. Hier ist vieles im Wandel. Gibt es in den Leitungen Generationenwechsel, tendieren die Rückmeldungen in diese Richtung. Leider bestehen aber heute noch Schulen, wo kein Jazz unterrichtet wird ...

Gilt ein Diplom einer Jazzschule immer noch weniger als eines vom Konservatorium?

Hämmerli: In den Augen gewisser Musikschulleitern, ja. Auf Gemeindeebene ist der Schritt, wie ihn die Kantone der Innerschweiz im Aufbau der gemeinsamen Trägerschaft der Musikhochschule Luzern (der Jazz ist in der Ausbildung aufs gleiche Niveau gesetzt worden wie die Klassik) vollzogen haben, noch nicht überall gemacht. Ich glaube aber, es zeichnet sich immer klarer ein Klimawechsel ab und der Bedarf an Lehrpersonen, die aus dem Jazzbereich kommen, ist noch längst nicht abgedeckt.

Gibt es eine Abwehrhaltung des Konservatoriums Luzern gegenüber der Jazzschule?

Hämmerli: Nein, sonst hätten wir uns kaum zu einer gemeinsamen Musikhochschule zusammenraufen können. Aber natürlich bewegen sich der Jazz und die sog. "klassische Musik in verschiedenen Welten. Die Türen dazwischen sind jetzt aber weit offen und das bietet für alle viele neue Möglichkeiten zur gegenseitigen Bereicherung. Nur ein kleines Beispiel: Mit der Fakultät II - der Schulmusikerausbildung - gibt es seit zwei Jahren eine erfreuliche Zusammenarbeit. Die Studenten kommen zu uns, machen Rhythmik, Arrangement und Songwriting. Und sie merken, dass sie bei uns profitieren.

Interview: Christoph Merki


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