Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

DAS GEMEINSAME MUSIZIEREN IM VORDERGRUND


1       Seit dem Start der Berufsschule im Jahre 1990 haben sich Unterrichtende und Studierende in  diversen Fächern mit methodischen und didaktischen Fragen auseinandergesetzt. Neu ist an der Fakultät III der MHS Luzern die Absicht, die bisherige didaktische und methodische Ausbildung neu zu fassen und anders  zu gliedern. Können Sie, Walter Hess,  in Umrissen beschreiben, was sich wie ändert?

 

In den zwei Jahren des Grundstudiums an der Fakultät III werden vorerst  grundsätzliche Fragen des Unterrichtens besprochen. Das hat also mit Musik bzw. Jazz nur am Rand etwas zu tun. Erst im Hauptstudium werden die Studierenden in der Auseinandersetzung mit den Fachlehrern der spezifischen, instrumentalen Fachdidaktik begegnen.

 

2       Wie ist denn dieser Begriff der jazzbezogenen Fachdidaktik zu verstehen?

 

Mir schwebt vor, dass jemand, der bei uns ausgebildet wurde, anders an die Kinder herangeht, in ihnen das musikalische Interesse anders weckt und entwickelt als jemand, der im klassischen Bereich ausgebildet wurde. Ich meine das nicht wertend in dem Sinne: Die einen arbeiten besser als die andern. Ich meine lediglich: Sie sollen es anders machen.

 

3       Hat das etwas mit dem Begriff Improvisation zu tun?

 

Gewiss. Unsere AbsolventInnen gehen mit einem anderen musikalischen Hintergrund an die Arbeit. Das Musik-Machen steht im Zentrum, und zwar unabhängig von Notation. Diese Erfahrung bringen unsere AbsolventInnen mit und sie sollen sie auch weitergeben. Der Jazz ist aus seiner Tradition heraus nicht in erster Linie eine notierte Musik, sondern ein Gehörte, eine Gespielte und eine Miteinander Gespielte. Diese grundsätzliche Einsicht  soll auch dann im Zentrum stehen, wenn wir uns fragen, wie mit Kindern und Jugendlichen didaktisch umgegangen werden soll.

 

4       Ich würde gerne  einen genaueren Blick werfen auf die ersten zwei Jahre, die in einem allgemeineren pädagogischen Kontext stehen. Um welche Fragen geht es da?

 

Die Ausbildung ist in vier Semester aufgeteilt, welche je einem Stichwort gewidmet sind. Das erste Semester steht unter dem Stichwort „Entwicklung“. Da geht es darum Lebenswelten der Kinder zu erkennen, Jugendkultur wahrzunehmen und eine Entwicklung zu sehen im Erleben der Kinder. Wer mit einem/einer Siebenjährigen zu tun hat, soll eine Ahnung davon haben, in welcher Welt dieses Kind in etwa lebt. Das gleiche gilt, wenn man Pubertierende vor sich hat oder Erwachsene. Das ist die Idee unter dem Stichwort „Entwicklung“.

 

5       „Lebenswelt“ ist für  Sie in diesem Zusammenhang wohl ein kultureller Begriff?

 

Ja, das kann man so sagen. Natürlich spielen auch entwicklungspsychologische Fragen  mit hinein, die Geschlechterfrage etwa, Fragen wie zum Beispiel „Wie entwickelt sich Musikalität?“. Die Studierenden sollen so viel wie möglich wissen über die Kinder, mit denen Sie später zu tun haben.

 

Im zweiten Semester werfen wir, ausgehend von Lernstrategien, Lernpsychologie und  einer Prise Neurophysiologie, einen Blick auf das Geschehen „Lernen - Ueben - Lehren“. Zur Professionalität von Lehrenden gehört, dass sie in diesen Bereichen Bescheid wissen. Oft geht es  auch darum, dass man die eigene Lernbiographie aufarbeitet, sich sensibilisiert für das, was man in der Rückschau als Fehler einstuft, den man verbessern könnte. Das ist die Thematik des zweiten Semesters.

 

Der Oberbegriff des dritten Semesters:  „Kommunikation“. Es geht um Gesprächsführung, Reflektieren und Hinterfragen des eigenen Kommunikationsverhalten. Zu einem professionellen Verhalten gehört auch, dass man vernünftig kommuniziert, Feed Back geben kann, auch dass man etwas über Konfliktlösungen weiss.

 

Nach diesen drei Semestern schliesst übrigens das Grundstudium im Bereich Pädagogik mit einer schriftlichen Prüfung über den Stoff dieser drei Semester ab. Nur wer besteht, hat Zugang zum Hauptstudium pädagogischer Ausrichtung.

 

Da bleibt nun noch das anschliessende vierte Semester, das den Aspekten des „Unterrichtens“ gewidmet ist. Da geht es um eine theoretische Auseinandersetzung mit didaktischen und methodischen Modellen. Wie beginnen wir den Unterricht? Wie wichtig ist uns die Notation? Wie bedeutsam die Technik? Welchen Stellenwert hat die Rhythmik? Da soll so viel Praxis wie möglich hineinfliessen. Der Unterricht, den man als Studierende(r) erlebt und der Unterricht, den man erteilt, wird mitreflektiert. (Zu diesem Zeitpunkt geben schon viele  Unterricht).

 

Mit diesen vier Semestern ist das Grundstudium Pädagogik nun abgeschlossen. Diesen ersten Baustein der Ausbildung mit vier thematischen Semestern habe ich bisher zweimal realisiert, habe natürlich auch Schlüsse gezogen und Korrekturen angebracht und ich bin soweit sagen zu können: Was da geschieht, ist relevant.

 

Von dieser Basis aus starten die Studienrenden also mit dem Hauptstudium pädagogischer Richtung. Wie geht es nun weiter und was ändert sich?

 

Was an dieser Stelle neu dazukommen soll, ist je ein jazzbezogenes Fachdidaktikprogramm pro Instrumentalgruppe, welches sich in erster Linie auf die langjährigen und bewährten Erfahrungen der DozentInnen in ihren spezifischen Bereichen abstützt. Auch Lehrpersonen aus der Allgemeinen Abteilung sind hier aktiv involviert.  In  der Auseinandersetzung mit der realen Situation soll eines Tages ein fakultätseigenes Lehrmittel entstehen, ein Produkt, hinter dem alle stehen können. Wie es geartet sein mag, das steht im Moment noch in den Sternen. Aber die Fachdidaktiker stehen im Austausch mit mir, wir sammeln die Erfahrungen, wir haben die Umrisse, und wir stellen nota bene schon fest, dass wir, um intensiver arbeiten zu können, mehr Stunden brauchen.  Ein erwähnenswerter Beitrag zur Didaktik ist im Weiteren das unter der Führung von Robert Morgenthaler stehende Fach „Unterrichtstraining“, welches an Hand von Videoaufzeichnungen die Lektionen der Studierenden bezüglich Lehrverhalten und Methode analysiert.

 

Die Didaktik behauptet per se, dass der Stoff vermittelbar ist. Das ist ihr Ansinnen und ihre Daseinsberechtigung. Gibt es auch Grenzen der Machbarkeit, vielleicht im Besonderen im Vermitteln von Musikalischem?

 

Ja, es gibt Grenzen, dessen bin ich mir bewusst. Die Schulsituation ist immer geprägt von den Gruppen der Begabten, der Nachzügler und des Mittelfeldes. Gute Didaktik holt die SchülerInnen dort ab, wo sie sind, und fördert sie. Ich habe die Hoffnung, dass AbgängerInnen unserer Fakultät das können, weil sie viel Erfahrung mitbringen und weil sie musikalisch ihren Kids nahestehen. Nun wollen die Jugendlichen zwar nicht Jazz spielen, da sind Rock, Blues,  Pop und Hip Hop viel eher gefragt; ich vermute, dass die meisten von unseren AbsolventInnen eben auch von daher kommen und nachvollziehen können, was bei den Kindern abgeht.

 

Für eine gute Didaktik braucht es ausserdem ein Methodenrepertoire, das den SchülerInnen hilft. Dieses Methodenrepertoire ist dem eines klassisch ausgebildeten Musiklehrers durchaus ähnlich, wir haben da keine besseren Methoden auf Lager...

 

... aber die Optik ist, wenn ich richtig verstanden habe,  eine andere. Man ortet zuerst, in welchem Populärmusikumfeld diese SchülerInnen aufwachsen, die Hits, die sie reinziehen, anstatt zu sagen: ich komm jetzt mit einer Musik, die einen gewissen Wert hat, und den möchte ich dir vermitteln...

 

... genau, dies ist die veränderte Perspektive. Was nicht heisst, dass man das andere nicht auch macht.  Es ist für jeden Musiklehrer öde, wenn er sich nur im Spielraum der Hitparade bewegen soll. Das ist gewiss nicht das Ziel. Ziel ist, dass man Türen öffnet.

 

Wie ist es mit der Volksmusik im guten Sinne? Kinderlieder, „ hiesiges“ Kulturgut?

 

Das gehört genau so dazu. Ich glaube nicht, dass AbsolventInnen unserer Fakultät Berührungsängste haben sollten gegenüber Musik, welche Kinder mögen. Ich möchte aber noch einen weiteren Schwerpunkt setzen: Es ist wichtig, dass bald gemeinsam musiziert wird im Unterricht. Hier gibt es sicher eine Parallele zur Volksmusik. In Gegenden, wo Volksmusik noch lebendig ist, steht das gemeinschaftliche Musizieren im Vordergrund. 

 

  

Das gemeinsame Musizieren ist natürlich für den  Jazz typisch. Und die Fakultät III bietet ja Workshops an, wo in Gruppen gearbeitet wird. Ausserdem gibt es in und um die Fakultät Bands, die in Eigenregie stehen,  es gibt die Jazzkantine, wo häufig und vorrangig „hauseigene“ Produktionen zur Aufführung kommen. Da ist ja nun wirklich einiges vorgespurt.

 

Meine Traumvorstellung vom Unterricht wäre sowieso weit weg vom Einzelunterricht, der SchülerInnen über Jahre hinweg im Lernen isoliert. In meiner Vorstellung muss Musik genauso intensiv workshopartig gemacht werden, eine Praxis, die, wie Sie richtig erwähnen,  an unserer Fakultät längst zum Alltag gehört. Es braucht zweifelsohne den Einzelunterricht. Wer Musik macht, muss üben, sonst kommt er auf keinen grünen Zweig. Diese Wahrheit ist nicht wegzudeuteln. Aber ich träume davon, dass Kinder sich schon früh in kleinen Bands zusammenfinden. Die Leitung eben solcher Workshops ist Teil unserer Ausbildung, viele unserer DozentInnen leiten Workshops oder betreuen Bands der Studierenden; in diesem Bereich haben wir bisher erfolgreich mit der Musikschule Luzern zusammengearbeitet. Heuer realisieren wir ein aufwändiges Projekt mit dem Schaffhauser Jazzfestival (sh. separaten Hinweis). Solche Formen des Unterrichtens finde ich existentiell. Musikschulen bieten in der Regel Blasmusik und Orchester an, aber kaum kleinere Bands. Und gerade in Städten oder grösseren Agglomerationen wäre das ein dringendes Bedürfnis, davon bin ich überzeugt. Ich hoffe natürlich, dass unsere AbsolventInnen solche Gedanken in die Musikschulen des Landes hineintragen. Eine Band zusammenstellen, Musik arrangieren, die richtige Musikauswahl treffen, einüben, vortragen, diese Kompetenzen gehören zentral in unserer Ausbildung.

 

 

Interview und Textredaktion: Fredi Lüscher


Walter Hess , lic phil I

Studienbereichsleiter Pädagogik und Dozent für Pädagogik an der Fakultät 3 der Musikhochschule Luzern

Walter Hess studierte im Anschluss an seine Ausbildung zum Primarlehrer und nach 12 Jahren Schulpraxis auf der Primar- und Realstufe Psychologie, Pädagogik und Psychopathologie in Zürich. Bereits während seiner Studien in Zürich unterrichtete er Pädagogik an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern; 1996 kam das Engagement an der Fakultät III der MHS dazu.

Walter Hess spielte im Lehrerseminar Gitarre, wuchs auf mit der Musik von (Christy Doran, Bobby Burri, Fredi Studer und Urs Leimgruber) in den Ohren, mit deren Exponenten er heute noch befreundet ist. Jazz in Willisau setzte weitere wichtige Wegmarken für den Jazzliebhaber Hess, im Besonderen das Art Ensemble of Chicago oder das John Surman Trio.

Walter Hess ist verheiratet und Vater zweier Kinder

Die FachdidaktikerInnen der Fakultät III

  • Susanne Abbuehl voc
  • Robert Morgenthaler tb
  • Norbert Pfammatter dr
  • Urs Röllin gui
  • Peter Schärli tp
  • Jan Schlegel b
  • Elena Szirmai p

Die Studierenden der Fakultät III (HS Pädagogik) absolvieren in der Allgemeinen Abteilung Praktika im Einzelunterricht. Sie werden dabei von erfahrenen DozentInnen der Allgemeinen Abteilung betreut.

Zusammenarbeit mit der Kantonsschule Schaffhausen

Auf Initiative von Urs Röllin, Musiker, Dozent an der Fakultät III und Co-Leiter des Schaffhauser Jazzfestivals, kommt dieses Jahr ein aussergewöhnliches fachdidaktisches Projekt zu Stande: Als Rahmenprogramm des JFS bietet die Kantonsschule Schaffhausen den GymnasiastInnen eine Projektwoche Jazz mit Interessegebieten, die vom Einblick in die Jazzgeschichte bis zu Computermusik und Techniken des Sampling reichen. Studierende der Fakultät III der MHS Luzern (1. Jahr Hauptstudium Pädagogik) machten Angebote zu Workshops in den Bereichen Pop, Hip Hop und Blues. Der Zuspruch der GymnasiastInnen ist gross, die Bands haben zwischen 14 und 17 Mitwirkende. Am Schlusskonzert sollen alle auf der Bühne stehen. Die Koordination liegt in den Händen von Dozent Walter Hess, der den grossen Aufwand nicht scheut und die Erfahrungen der Studierenden im Rahmen des Fachunterrichts Pädagogik auswerten wird.

 

 


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