Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

ZUM VERHÄLTNIS VON AUSBILDUNG UND PRAXIS AN DER JAZZABTEILUNG DER MHS LUZERN


Hämi Hämmerli
Geboren 1953; 1970-1977 Studium an der Swiss Jazz School Bern; seit 1978 freischaffender Jazz-Kontrabassist; 1988-1995 Dozent für Kontrabass und Ensemble, Jazzschule St. Gallen; seit 1995 künstlerischer Leiter erst Jazzschule Luzern, dann Jazzabteilung MHS Luzern; lebt mit seiner Familie in Rüschlikon ZH; mehr...

Musiker P. hat heute Abend ein Konzert. Es ist jetzt kurz nach 15 Uhr, Zeit, dass er seine Unterlagen bereitstellt: Instrument, Noten, Kleidung und anderes mehr. Er hat alle Stücke nochmals geübt. Mit den Musikern in der Band verbindet ihn Freundschaft. Ausserdem hat man ausgiebig geprobt. Mit diesem guten Gefühl steigt er wenig später in den Zug. - Und doch bleibt vieles offen: Wie wird heute Abend der Sound sein? Wie wird das Publikum auf das Programm reagieren? Werden die Themen und Abläufe klappen, bringt er jene heikle Stelle im neuen Stück souverän? Wird er als Solist reüssieren? Die Balance zwischen Sicherheit und Unvorhersehbarem, zwischen Notiertem und Improvisiertem, ist Musiker P.'s Alltag. Ein paar Stunden später wird er auf der Bühne stehen, dann gilt’s ernst! Der grosse Spielraum für Kreativität wird ihn herausfordern, wird ihm und dem Publikum Vergnügen bereiten. Das ist bei jedem Jazz-Konzert so.

Wer bei uns in Ausbildung steht, bildet sich zwar nicht ausschliesslich, aber doch in besonderem Mass für diese dem Jazz eigene Live-Situation aus. Die punktuell erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen fügen sich zusammen und verknüpfen sich mit dem Alltag als Musiker/in. Es kommt ans Licht, inwieweit Wissen und Können der kreativen Anwendung auf der Bühne dienlich sind. In diesem Prozess entwickeln die Studierenden langfristig ihre eigene musikalische Sprache.

Die individuelle Arbeit und ihre Anwendung in der Live-Situation

Lernen ist vor allem andern rezeptiv, von allen Seiten werden Informationen angeboten und Wege aufgezeigt. Können bildet sich in der Vertiefung des Erworbenen heran: die Instrumentaltechnik wird verfeinert; das theoretische Wissen nimmt zu; die melodischen, harmonischen und rhythmischen Kenntnisse werden erweitert und gefestigt. Die Anwendung in concert’ zeigt dann auf, ob die Lernenden sich diese Inputs zu eigen machen konnten und ob sie sie, zu einer musikalischen Aussage geformt, dem Publikum überzeugend darbringen können. Denn wer auf der Bühne steht, ist in einem hohen Masse herausgefordert und muss sich beweisen. Sowohl in der Ausbildung wie auch im späteren Berufsleben verlaufen die Prozesse Rezeption und Praxis parallel bzw. komplementär. Die individuelle Ausbildung der Lernenden wird im Zusammenspiel mit der Band konkret; die Anforderungen des Zusammenspiels ihrerseits ergeben ein wertvolles Feedback, welches für die individuelle Arbeit genutzt wird.

Die Live-Situation

Gehen wir einen Schritt weiter zu Proben und Live-Spiel. Das Unvorhersehbare gerät nun plötzlich ins Blickfeld. Die Zuhörenden, die räumlichen Gegebenheiten, das zur Verfügung gestellte Klavier und vieles andere mehr nehmen Einfluss auf den musikalischen Prozess. Auch das Publikum ist nicht einfach ignorierbar, schon gar nicht, wenn es mit seinem Applaus den so überaus wichtigen Dank für die künstlerische Arbeit spendet. Alle Formen des Zusammenspiels: Workshops, Proben und Performing auf der Bühne, sind wesentliche Ausbildungsbeiträge. Es entstehen Strategien, wie mit musikalischen, akustischen und gruppendynamischen Situationen umgegangen werden kann. In der Live-Situation gibt es kein Ausweichen. Lernen heisst nun vermehrt Hinhören, wie die anderen agieren, wie sich die Band als Klangkörper vorwärts bewegt, welches ihre Möglichkeiten, welches ihre Grenzen sind; erfahren, wohin sich das Konzert entwickelt, wenn die Intensität des Spiels zunimmt und neue Dimensionen erschlossen werden. Eine sorgfältige Ausbildung will diesen Faktoren Rechnung tragen. Anders gesagt: Das zukünftige Berufsleben mit all seinen Facetten wird in der Ausbildung abgebildet. Die verschiedenen Lernangebote der Musikhochschule lassen in fortschreitenden Phasen die zentralen Punkte erkennen, welche die nachmaligen Berufsmusiker/innen in ihrer täglichen Arbeit bestimmen werden. Es sind dies mindestens:

  • die Auseinandersetzung mit ihrem Instrument oder ihrer Stimme,
  • die Auseinandersetzung mit dem musikalischen Material,
  • die Auseinandersetzung mit den Mitmusikerinnen (das Zusammenspiel) und
  • die Öffentlichmachung des Resultates in Form von Konzerten (oder allenfalls von Aufnahmen).
In der Praxis sind hier individuelle Bedürfnisse (die notwendigen Utensilien von Notenständer bis Mineralwasser, die optimale Bereitstellung des Instruments, eine gute persönliche Psychohygiene u.a.) ebenso angesprochen wie kollektive (eine gute Bühnensituation, Licht und Sound am Konzertort, Kommunikation unter den Musiker/innen, auch pekuniäre Erfahrungen über den materiellen Wert solcher Musik auf dem Markt u.a.).

Performing als Wechselbad

Jede Band hat Hierarchien. Da steuert wer das Material bei - in der Regel der Bandleader, an der Schule die Workshopleitung. Da sind Musiker/innen, die spielen gerne mit, weil sie sich der Musik und den andern Mitgliedern der Band verbunden fühlen. Und es gibt solche, die machen vielleicht bloss mit, weil die Kohle stimmt’. Oft gerät man – im Studium durch den Lehrplan bewusst gesteuert, später aber auch als Freelancer/in - in ungewohnte musikalische Kontexte: eigenwillige neue Musik; hoch strukturierte, rhythmisch komplexe Musik; Material, das aus einem anderen Kulturraum stammt, Musik aus dem Great American Songbook’ usw. Nicht zu vergessen sind die Studierenden, die komponieren und arrangieren. Sie brauchen Gelegenheiten, ihre Konzepte und Arrangements zu Gehör bringen. Nur in der Praxis können sie die Parameter der kompositorischen Arbeit erproben.

Hier nimmt die Jazzkantine, der Konzertraum der Fakultät III, einen zentralen Platz ein: ein Haus-interner’ Auftrittsort, der eine geschützte Atmosphäre bietet, denn Jazz ist auf unserer Bühne eine Selbstverständlichkeit, was nicht überall der Fall ist. Das Luzerner Jazzpublikum erhält einen kontinuierlichen Einblick in das Schaffen an der Schule, es kann dort aktuellen, jungen Jazz in allen Facetten hören. Andererseits produzieren sich Lernende wie Dozierende hier auch vor den eigenen Kollegen, einem sachverständigen und kritischen Publikum. Die Spannung ist gross. Da ist gewiss nicht bloss mit undifferenzierter Zustimmung zu rechnen.

Neben der Jazzkantine unterhält die Jazzabteilung der MHS verschiedene Schaufenster zur Stadt hin, zur Region und darüber hinaus. So spielen, komponieren und arrangieren Studierende der MHS regelmässig für Projekte mit dem Luzerner Symphonie-Orchester, der Jungen Philharmonie Luzern, der Meetings der International Association of Schools of Jazz (IASJ)’, die Big Band ist einmal jährlich zu Gast beim Jazzclub Luzern, Bands von Studierenden treten alljährlich im Rahmenprogramm des Jazzfestivals Willisau und der Musiktage Stans auf. Ausserdem vermittelt die MHS allwöchentlich Bands von Studierenden für verschiedenste Veranstaltungen.

Vorbilder

Nach dem Konzert ist Musiker P. müde und zufrieden. Der verbale Austausch über den Gig’ ist unter den Musizierenden, gleich nach dem Konzerterlebnis, oft stockend. Aber auf der Heimfahrt übt Musiker P. Selbstkritik. Er erinnert sich, wo’s nicht recht geklappt hat, er hat gespürt, was angekommen’ ist. Später wird er sich vielleicht auch die Aufnahmen anhören. Das wird wieder ein anderer Eindruck sein. Ein objektiver? Ja - aber oft sind Aufnahmen seltsam befremdend: Was! So hat das getönt? Er wird auch mit den offensichtlichen Schwachstellen konfrontiert sein. Es wird Erklärungen geben für nicht Gelungenes, aber es ist damit nicht rückgängig zu machen. Er wird sein tägliches Übe-Programm auf Grund der gesammelten Erfahrungen neu ausrichten. Physikalisch gesehen lösen sich zwar alle Töne sogleich in Luft auf, die Erinnerung daran ist jedoch eine erstaunlich präzise. You have to hear it for your life’", wie der Saxophonist Charlie Rouse sagte.

Warum ist es wichtig, dass Dozierende aktive Musikerinnen und Musiker sind? - Gewiss macht es Sinn, dass Lernende sich mit den Strukturen dieser Musik auseinanderzusetzen. Doch dürfte engagiert Lehrenden wie begeisterungsfähig Lernenden klar sein, dass sie totes Material vor sich haben, das es in der (Re-)Produktion frisch zu beleben gilt. Dazu stellt die nationale und internationale Konzerttätigkeit der Lehrenden - auch des Künstlerischen Leiters der Fakultät III - einen zentral wichtigen Beitrag dar. Alle sind sie Botschafter der Musikhochschule, an der sie unterrichten, fördern also konkret das Interesse an der Luzerner Ausbildungsstätte. Sind sie für Tourneen im Ausland, fordert dies der Organisation der MHS grosse Flexibilität ab. Aber sie setzen sich - in den vielfältigsten Verflechtungen und Stilen - permanent mit der Musik auseinander, die sie unterrichten und bringen von ihrer Konzerttätigkeit neue Energien zurück nach Luzern, welche das Arbeitsklima hier entscheidend anregen und mehr als anderswo professionalisieren. Die Doppelrolle Musiker/Dozent bzw. Musikerin/Dozentin charakterisiert und qualifiziert deshalb den Unterricht bei uns in besonderem Masse. Viele Lernende wählen eine Musikhochschule, weil sie sich für ihre Ausbildung eine Persönlichkeit wünschen, die sie schon live auf der Bühne gesehen und gehört haben. Diese Form natürlicher Autorität und grosser Stilvielfalt zieht gerade junge Studierende an. Auch der relativ hohe Anteil von ehemaligen Studierenden der MHS Luzern, welche sich in der Jazz-Szene etablieren konnten, trägt zur Attraktivität des Ausbildungsplatzes Luzern bei.

Fazit

Wir geben uns nicht der Illusion hin, es sei mit dem Abschluss der Studien an der MHS Luzern alles getan. Aber es ist entscheidend, dass die Lernenden der Abteilungen Performance, Komposition-Arrangement und insbesondere auch der Musikpädagogik während ihrer Ausbildung in hohem Mass auf die Praxis dieser lebendigen Musik - genannt Jazz - vorbereitet werden.

Hämi Hämmerli Künstlerischer Leiter Jazzabteilung, Musiker



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