Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Das Hauptstudium Komposition-Arrangement Jazz


Generationenwechsel


Im Studiengang Komposition / Arrangement (Jazz) kommt es zu einem Generationswechsel: nachdem David Angel und Ed Neumeister ihre Lehrtätigkeit an der Musikhochschule Luzern beendet haben, übernehmen Dieter Ammann und Rainer Tempel die Verantwortung für den Studiengang. Im folgenden Interview erläutern sie ihre Vorstellungen von Komposition und deren Rolle in der Musikausbildung.


Hans Niklas Kuhn, Leiter Abteilung Theorie & Komposition


Rainer Tempel (RT)


Dieter Ammann (DA)

HNK: Was für ein Rolle spielt die Komposition in euerm Leben als Musiker?

RT: Das Komponieren sehe ich als mögliches weiteres Standbein eines Musiker und als Erweiterung seines Horizonts, den man als Instrumentalisten irgendwann erreicht. Ein Drittel meiner Arbeitszeit ist dem Komponieren gewidmet, sei es im Auftrag oder aus eigenem Antrieb. Ich habe angefangen zu schreiben aus der Faszination für einen grösseren Klangkörper: im Studium habe ich autodidaktisch herumprobiert und habe als Komponist zunehmend bessere Feedbacks bekommen als für meine Tätigkeit als Instrumentalist. Das hat mich darin bestärkt, dort weiter zu machen, und ich habe dann eine eigene Big Band gegründet. Parallel dazu arbeitete ich als Bandleader und ich habe gelernt, das, was ich geschrieben habe, einzustudieren und den Spielern zu vermitteln. Es ist für mich wichtig, dass ein Komponist zumindest im Jazz - nicht einfach seine Musik für sich im stillen Kämmerlein schreibt und danach nichts mehr damit zu tun hat, sondern dass er lernt, sie selber zu realisieren, zu vertreten und schliesslich zu vermarkten.

DA: Für mich gab es nur eine Motivation, Komposition zu studieren: es interessierte mich, wie man mit Musik Zeit gestalten kann. Mein Ziel wär einerseits eine klangliche Vision zu entwickeln, aber parallel dazu das Handwerk zu erlernen, um diese Visionen aufs Papier zu bringen. So unterrichte ich auch Komposition: es gilt, Fertigkeiten im technischen Handwerk zu erlangen (durch Übungen, Partiturstudium, Hören). Gleichzeitig versuche ich den Studenten links zu überholen“, um herauszufinden, was er eigentlich will und wo er mit seiner Musik hin möchte. Dieses Mitdenken ist für mich das Spannende am Kompositionsunterricht. Es gibt Komponisten, deren Schüler Musik schrieben, die genauso klingt wie jene ihres Lehrers: das möchte und könnte ich gar nicht. Ich versuche zunächst immer den persönlichen Ton des Studenten zu entdecken: danach kann ich vielleicht Hinweise geben, wie er eine musikalische Idee weiter denken oder variieren kann.

HNK: Der persönliche Ton“ ist schon charakteristisch für die klassische Komposition: hier bekommt man den Eindruck, dass bei jedem Stück alles neu erfunden werden muss. Im Jazz dagegen scheinen mir die Bedingungen viel klarer: seien es Gattungen, Besetzungen oder auch das Handwerk hier gibt es noch allgemein akzeptierte Normen, die nicht hinterfragt werden sondern innerhalb derer man sich bewegt.

DA: Völlig einverstanden. Im Jazz ist es klar, wie z.B. ein vierstimmiger Trompetensatz zu setzen ist, damit er gut klingt in der klassischen Musik gibt es solche Übereinkünfte schon lange nicht mehr. Umso wichtiger ist die Individualität geworden, aber gepaart mit einem fundierten Handwerk.

RT: Die Geschichte des Jazz ist allerdings sehr viel kürzer als jene der klassischen Musik, und es ist nicht immer einfach festzustellen, was stilbildend war und was nicht. In den sechziger Jahren z.B. waren die Musiker unglaublich erfinderisch und neugierig: wenn man den Studenten heute diese Musik vorspielt, wirkt diese für sie bereits etwas verstaubt. Das betrifft aber nur den Sound - damals wurden aber Sachen ganz neu ausprobiert, die zu vermitteln ich schon wichtig finde.
Es ist heute zunehmend schwierig, sich als Jazzmusiker mit dem Standrepertoire zu profilieren. Wenn man sieht, wer an den grossen Festivals spielt und Aufmerksamkeit erregt, dann sind die interessanten Bands nicht jene, die gut Standards spielen, sondern solche, die etwas Eigenes entwickelt haben. Wenn man als Europäer auf dem Jazzmarkt neben den amerikanischen All Stars seinen Platz finden will, ist es einfacher, sein eigenes Programm zu spielen.

DA: Mit anderen Worten: eben den kompositorischen und musikalischen Individualismus pflegen?

RT: Auf jeden Fall! Natürlich gibt es kein Stellenprofil als Komponist allenfalls als Kompositionslehrer, und die kriegt man nicht, weil man Komposition studiert hat, sondern weil man sich als Komponist profiliert. Aber ein Kompositionsstudium ist für einen Musiker einfach eine Erweiterung seiner Kompetenzen und auch wenn man nur z.B. angefragt wird, einen Chor zu leiten, ist es von Vorteil, wenn man versteht, was in der Partitur steht.

HNK: Es ist interessant zu beobachten, dass während Komposition im klassischen Repertoire ein Randdasein fristet, das allenfalls von ein paar Exorten gepflegt wird, es im Jazz beinahe zum Kerngeschäft eines Musikers gehört. Dabei bedeutet Jazz für viele Leute Improvisation und die Vorstellung von Jazzkomposition kommt ihnen etwas schizophren vor.

RT: Man muss allerdings sehen, dass die Jazzkomponisten nicht unbedingt die bekannten Jazzmusiker sind.

DA: Es gab schon ein paar Namen etwa Art Tatum oder Thelonius Monk die im Nachhinein fast mehr als Komponisten denn als Instrumentalisten rezipiert werden. Klassische Komponisten-Instrumentalisten wie z.B. Thomas Larcher oder Moritz Eggert, die beide an der Musikhochschule Luzern zu Gast waren, pflegen einen recht pragmatischen Ansatz und passen ihre Musik den Gegebenheiten an. Aber gerade das möchte ich nicht dann mache ich lieber eine andere Musik, als eine Musik, die einfach eine bestimmte Publikumserwartung befriedigt.
Ich finde, es sollen beide Ansätze Platz haben: das angewandte Denken und das l’art pour l’art“-Denken. Auf der einen Seite gibt es Komponisten, die sich vielleicht innerhalb einer klar umrissenen Stilistik bewegen aber qualitativ hoch stehenden Sachen machen, und auf der anderen Seite solche, die sich nur für die eigenen Klänge interessieren und für die Vertonung eines Hollywood-Streifens wahrscheinlich unbrauchbar sind. Solche muss es aber auch geben. Schlimm finde ich, wenn einer versucht seine eigene Musik zu machen,nicht weiss, was kompositionstechnisch schon alles da war. Darum sollte man sich eine möglichst breite Palette an Wissen aneignen und dann reduzieren: das Umgekehrte sich stilistisch einzugrenzen, nur weil man Scheuklappen hat ist fatal. Auch in der Malerei ist das Phänomen zu beobachten: es gibt Maler, die zuerst gegenständlich gemalt haben, ehe sie den Weg in die Abstraktion gehen, und dann andere, die aus lauter Verlegenheit diesen Weg wählen. Für mich haben solche nicht dieselbe Legitimation wie jene, die das Handwerk von Grund auf gelernt haben.

HNK: Das rührt an eine zentrale Frage der Kunst im 20. Jahrhundert: ich denke an die ganze Entwicklung, die auf Cage zurückgeht: das Happening, der Performance. Hier hat sich eine Art Anti-Kunst“ entwickelt, der man vielleicht zu Recht das Handwerkliche abspricht. Gelten hier andere Kriterien?

RT: Für mich ist schussendlich das einzige Kriterium, ob es mir auch nachhaltig gefällt und wie einer dahin kommt. Wenn einer etwas auf hohem Niveau macht, dann kann ich nur sagen, es hat funktioniert oder nicht, und wenn es mich anspricht, dann kommt die Einordnung erst viel später.

HNK: Gefallen“ finde ich einen etwas diffusen Begriff es geht beim Musikhören vermutlich nicht nur um das Wohlsein, sondern auch das Unwohlsein kann ästhetisches Erlebnis sein. Kannst du auch benennen, was dich an der Musik fasziniert?

RT: Zum einen überzeugende Klangfarben, dann auch Bögen, die natürlich auch immer Bestandteil der Musik sind...

HNK: ...wobei es auch hier Konventionen gibt, die unsere Vorstellung von gut oder schlecht klingend prägen und die ein handwerkliches Merkmal bilden. Geht nicht das, was uns an der Musik fasziniert, darüber hinaus?

DA: Ich finde, der Begriff des Gefallens“ ist dem Laien vorbehalten und sollte nicht von Berufsmusikern verwendet werden. Wenn wir einen solch subjektivistischen Ansatz pflegen, kommen wir am Schluss zu völlig willkürlichen ästhetischen Kriterien bei der Auswahl der zu vermittelnden Werte. Manchmal rechtfertigen Studenten stilistische Ungereimtheiten mit dem Argument, dass sie ihnen gefallen. Das Gefallen kann aber ein Hemmnis sein, einer Sache auf den Grund zu gehen. Wenn einer sagt: Das gefällt mir nicht“, muss er sich folglich nicht weiter damit beschäftigen. Das ist meiner Ansicht nach im Studium nicht erlaubt man kann aber seinen Horizont enorm erweitern, wenn man neugierig ist. Die Musik Morton Feldmans, z. B. gefällt mir nicht, aber ich sehe deren Qualität die Konzentration, die statische Zeitgestaltung und ich muss auf so etwas auch zu sprechen kommen, sonst habe ich das Gefühl, als Lehrer zwischen dieser Musik und dem Studenten zu stehen, der vielleicht völlig darauf abfährt.

RT: Mein Gefallen“ ist allerdings auf einer anderen Basis als beim Laien. Es gibt auch Musiker wie Django Bates, der z.B. in der Instrumentation grobe Fehler macht aber eine unglaubliche Band hat, die jedes unspielbare Stück irgendwie zum Klingen bringt. Und dann durch seine z.T. wirklich grandiose Ideen kommt er zu einem Ergebnis, das mir auch gefällt, obwohl es vom Handwerklichen her haarsträubend ist, was er da macht. Was die Studierenden auf Anhieb cool“ finden hat oft mit Äusserlichkeiten zu tun. Diese sollte man von der Musik trennen, denn erst dann merkt man, ob diese wirklich standhält. Wenn man aber versucht, z.B. Elemente aus dem Rock-Pop Genre auf eine Big Band zu übertragen, dann bleiben sie häufig ein Fremdkörper, weil sie in einem fremden Kontext nicht funktionieren.

HNK: Gefallen ist deshalb eine schwierige Kategorie, weil damit Verschiedenes gemeint sein kann: in einem konventionellen Sinn gefällt“ mir eigentlich nur das, was mir vertraut ist. Aber darüber hinaus kann man von einer Musik gepackt werden und darin sehe ich auch die Aufgabe einer Ausbildung, den Hörhorizont zu erweitern.

DA: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Studenten, die in der Lage sind, stilistisch sich auf eine musikalische Sprache einzulassen - sei das eine barocke Invention, ein romantisches Lied oder ein anderes Gebiet -, die besseren Musiker sind. Folglich muss es eine Verbindung geben zwischen theoretischer Affinität zur Musik und dem Hören, dem Erfassen und sogar der Interpretationsfähigkeit von Musik. Natürlich gibt es immer Ausnahmen der typische Bauchmusiker aber die grossen Musiker, die ich kenne, sind solche, die auch enorm mit dem Kopf arbeiten.

RT: Es ist echt schwierig, weil heute so viel Musik verfügbar ist, und irgendwie alles gleichwertig behandelt wird. Hier sollte das Studium auch ein Korrektiv sein und etwas eingrenzen.

DA: Beim klassischen Komponisten ist die Situation extrem: vom kleinen Segment des Publikums, die überhaupt klassische Musik hört, gibt es vielleicht 10%, die willens ist, Neue Musik zu hören. Für ihn kann die einzige Motivation zum Komponieren das Gefühl sein, ich habe etwas in mir drin und ich spüre meine Begabung und möchte weiter kommen. Wenn er damit Aufträge bekommt, umso besser. Den Ansatz, dass der Jazzkomponist etwas pragmatischer sein muss, finde ich schon richtig, aber damit ist der künstlerische Anspruch unseres Unterrichts überhaupt nicht tangiert. Was man im Studium auf keinen Fall nähren darf sind die Vorurteile, sondern es geht lediglich darum, lieb gewonnene Denkmuster aufzubrechen. Ich erlebe es immer wieder, dass Studenten selbst bei schwierigsten Stücken die Ohren aufmachen, und vielleicht spüren sie eines Tages das Bedürfnis, in ihrer eigenen Musik etwas Ähnliches auszuprobieren.

HNK: Jazz war lang ein Gegenmodell zur klassischen Musikwelt und ist es auch noch heute im Verständnis vieler Jazzmusiker. Allerdings hat der Jazz schon längst Eingang gefunden in die akademischen Institutionen und ich bin gespannt, inwiefern die Musik selbst davon tangiert wird und sich verändert.

RT: Der Jazzkomponist muss auf jeden Fall eine Entscheidung treffen, wo er damit hin will und das dann selber umsetzen. Was es im Jazz im Gegensatz zur Klassik überhaupt nicht gibt, sind die Kompositionswettbewerbe, an denen junge Komponisten teilnehmen können. Es gibt auch keine Festivals, die Aufträge vergeben, und es gibt in der Schweiz auch keine Berufsjazzensembles mehr. Man muss sich also genau überlegen, was man als Komponist will.

DA: Wenn man die Musik losgelöst von politischen, ideologischen, psychologischen oder sonstigen Statements betrachtet, glaube ich nicht, dass die Akademisierung des Jazz der Musik selber schadet. Es gibt an den Musikhochschulen deswegen nicht mehr Ausnahmetalente, aber es gibt doch ein höheres Durchschnittsniveau und das kann nicht schaden. Wir bilden schliesslich auch Musiker für einen Markt aus, und die Musikschulen in einem reichen Land wie in der Schweiz haben einen Anspruch auf gut ausgebildete Musiker. Wichtig ist, dass das gesellschaftliche Engagement für die Musik ebenso selbstverständlich wird wie z.B. im Sport. Es ist in der Regel kein Problem, dass man sich im Fussballverein engagiert und dreimal pro Woche ins Training geht. Hingegen braucht es viel Engagement, bis ein Kind mit derselben Selbstverständlichkeit den Instrumental- und vielleicht den Ensembleunterricht jede Woche besucht und dazu noch täglich übt. Umso wichtiger ist es, dass die Musik in einer breiteren Gesellschaftsschicht verwurzelt ist und dass ein Bewusstsein entsteht, dass es wichtig ist, Musk zu hören - auch und gerade solche, die einen fordern -, weil es einen weiter bringt.


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