Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Swingen ohne Fisimatenten


Mit dem 75-jährigen Jimmy Cobb war Anfang Oktober ein legendärer Schlagzeuger in Luzern zu Gast, wo er an der Jazzabteilung der Musikhochschule eine Masterclass und Einzelunterricht für Schlagzeuger des Perfomance-Studiengangs gab. Daneben fand er noch Zeit, in einem kurzweiligen Gespräch auf seine bewegte Karriere zurückzublicken. Im Zentrum stand dabei – wie könnte es anders sein – die Zusammenarbeit mit Miles Davis, die von 1958 bis 1963 dauerte. In dieser Zeit entstand mit «Kind of Blue» das wohl berühmteste Jazzalbum aller Zeiten.


Jimmy Cobb: Biografische Skizze


James Wilbur «Jimmy» Cobb kommt am 20. Januar 1929 in Washington auf die Welt. Nach lokalen Auftritten mit u.a. Charlie Rouse, Frank Wess und Billie Holiday geht er Anfang der 50er-Jahre mit dem populären R‘n‘B-Saxofonisten Earl Bostic auf Tournee. Es folgt ein längeres Engagement als Begleiter der Sängerin Dinah Washington (mit der er übrigens nicht verheiratet, sondern nur liiert war). Danach spielt Cobb im ersten Quintett von Cannonball Adderley, dem er in die Gruppe von Miles Davis folgt. Cobb bleibt von 1958 bis 1963 bei Davis. Danach gehört er bis zu dessen Tod im Jahr 1971 zum Trio des Pianisten Wynton Kelly. Diese Formation tritt regelmässig mit Gastsolisten auf (u.a. J.J. Johnson, Wes Montgomery, Joe Henderson). In den 70er-Jahren wird Cobb von einer weiteren grossen Sängerin des Jazz verpflichtet: Sarah Vaughan. Es folgt eine lange Zusammenarbeit mit dem Bruder von Cannonball Adderley, dem Kornettisten Nat Adderley. Seit einigen Jahren tritt Cobb in den USA sporadisch mit einem eigenen Quartett in Erscheinung, das er Cobb‘s Mob nennt und das aus seiner Unterrichtstätigkeit an der New School in New York herausgewachsen ist. In Japan ist er regelmässig mit dem Bassisten Eddie Gomez zu Gast; in Europa trifft man den Schlagzeuger an der Seite von Musikern wie Dado Moroni oder Roman Schwaller an. Von den bekannten afro-amerikanischen Schlagzeugern, die das Licht der Welt in den 1920er-Jahren erblickten, sind neben Cobb nur noch Max Roach, Roy Haynes und Chico Hamilton am Leben (nicht mehr unter uns weilen u.a. Philly Joe Jones, Sam Woodyard, Ed Blackwell, Connie Kay, Art Taylor und Elvin Jones).

Am 2. März und 22. April 1959 entstand unter der Leitung des Trompeters Miles Davis das Album «Kind of Blue», das zu den Ikonen der Kunst des 20. Jahrhunderts zählt. Von den sieben Musikern, die auf «Kind of Blue» zu hören sind, lebt nur noch der Schlagzeuger Jimmy Cobb: Er hat Davis, die Saxofonisten John Coltrane und Cannonball Adderley, die Pianisten Bill Evans und Wynton Kelly und den Bassisten Paul Chambers überlebt (Evans wurde von Davis extra für «Kind of Blue» in die Band zurückgeholt und war massgeblich mitverantwortlich für das Konzept des Albums; Kelly war zum Zeitpunkt der Aufnahmen zwar der offizielle Bandpianist, ist aber nur auf einer Nummer, dem fadengeraden Blues «Freddie Freeloader», zu hören). Der vife Veteran Cobb sitzt uns in einem bescheidenen Hotelzimmer in Luzern gegenüber und erinnert sich: «Als wir «Kind of Blue» aufnahmen, ahnte niemand, welche Bedeutung dieses Album erlangen sollte. Ich habe drei goldene Schallplatten zu Hause, das Album hat sich also über drei Millionen Mal verkauft. Das ist unglaublich. Duke Ellington oder Louis Armstrong war ein solcher Erfolg nie vergönnt.»

Auf «Kind of Blue» spielt Cobb seine Rolle als Time-Keeper sehr zurückhaltend, durch den Verzicht auf effektvolle Akzente trägt er einiges bei zur schwebend-traumhaften Atmosphäre des Albums. Für einen kurzen magischen Moment sorgt er, als er nach dem hypnotischen Thema des im wogenden Sechsachtel-Rhythmus gespielten «All Blues» von den Besen zu den Stöcken wechselt. «Das geschah ganz natürlich. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte einen Fehler gemacht und zu laut eingesetzt mit den Stöcken», sagt Cobb. Der Schlagzeuger mag das Kultalbum, dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte in einem Buch von Ashley Kahn minuziös nachgezeichnet wird, nicht von A bis Z analysieren: «Ich höre mir diese Musik immer noch gerne an, sie tönt immer noch frisch.» Im Gespräch wird schnell klar: Cobb ist ein Mann der Tat, ein Praktiker, kein hochtrabender Theoretiker. Das hat auch mit seinem Background zu tun. Sein erstes Drum-Set kaufte sich Cobb mit Geld, das er in einem Lokal, in dem seine Mutter als Köchin angestellt war, als Tellerwäscher verdiente. Abgesehen von ein paar Gratis-Lektionen bei einem Mitglied des National Symphony Orchestra, brachte er sich das Schlagzeugspiel selbst bei: «Ich hätte gerne eine Musikschule besucht, aber das war zu teuer.» Als er dann später recht gut verdiente, war es zu spät, um die Schulbank zu drücken: Da war er nämlich bereits ein fester Bestandteil der Jazzszene.

Dank einer Empfehlung Adderleys, mit dem er eng befreundet war, kam Cobb 1958 als Nachfolger von Philly Joe Jones in die Band von Davis. Cobbs Einstand verlief denkwürdig. Er erhielt von Davis einen Telefonanruf und wurde in einen Club nach Boston beordert: «Als ich dort ankam, war die Band bereits auf der Bühne und spielte «Round Midnight». Also stellte ich schnurstracks mein Schlagzeug auf und beim berühmten Interlude setzte ich dann mit den richtigen rhythmischen Akzenten ein. Auch später gab es nie Proben, das Repertoire kannte ich von Platten und Konzerten.» 1963 verliessen der Pianist Wynton Kelly, der Bassist Paul Chambers und Cobb die Band von Davis, um fortan im Trio zu wirken (zu seinem spektakulären Nachfolger, Tony Williams, hatte Cobb einen sehr guten Draht). Mit ihrem Punch, ihrem tief verwurzelten Blues-Feeling und ihrem schnörkellos-direkten Swing bildete diese Formation in den 60er-Jahren nicht nur zur Free-Avantgarde, sondern auch zum impressionistischen Interplay-Jazz à la Bill Evans ein starkes Gegengewicht. Besonders mitreissende Live-Aufnahmen machte das Wynton Kelly Trio mit so illustren Gastsolisten wie dem Gitarristen Wes Montgomery oder dem Tenorsaxofonisten Joe Henderson.

Von seiner schnörkellosen Straight-Ahead-Linie ist Cobb bis heute nicht abgewichen, sein unmissverständliches Diktum lautet: «The drummer has to swing the band.» Von langen, auftrumpfenden Soli will Cobb nichts wissen, für ihn steht die solide Begleitarbeit im Vordergrund. Dies gilt selbstverständlich auch für die Aufnahmen, die er in den letzten Jahren mit seiner eigenen Band Cobb‘s Mob gemacht hat. Eine wichtige Rolle in diesem Quartett spielt der Gitarrist Peter Bernstein, auf den Cobb dank seiner Lehrtätigket an der New School in New York aufmerksam wurde. Das jüngste Album dieser Band trägt den Titel «Cobb‘s Groove»: Dieser Groove ist «heavy», aber nicht schwerfällig.

Tom Gsteiger


HOCHSCHULE LUZERN MUSIK, ABTEILUNG JAZZ, ZENTRALSTRASSE 18, CH-6003 LUZERN, SWITZERLAND
Phone: ++41-41-412 20 56 / Fax: ++41-41-412 20 57 / E-Mail: jazz@hslu.ch