Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

 

KURZE SOMMERNÄCHTE IN FINNLAND

DAS 13. INTERNATIONALE IASJ JAZZ MEETING IN HELSINKI

Vom 29. Juni bis zum 6 Juli 2002 fand in Finnland das 13. jährliche Meeting der International Association of Schools of Jazz (IASJ) statt. Gastgeber waren dieses Jahr die "Sibelius Academy“, das "Pop & Jazz Conservatory“ und das "Helsinki Polytechnic“. Knapp 50 Studierende und 25 Dozierende von Jazzschulen aus über 20 vorwiegend europäischen Ländern trafen sich, um unter der Leitung von Dave Liebman und den Dozierenden an einer intensiven Woche mit Workshops, Masterclasses, Jam Sessions, Workshopkonzerten und Aufnahmesessions teilzunehmen. Daneben trafen sich die Vertreter der Leitung der teilnehmenden Schulen, um über verschiedene Themen zu diskutieren und sich auszutauschen. Die Musikhochschule Luzern, Fakultät III war mit Franz Hellmüller und Marc Stämpfli (beide im Hauptstudium Performance), Nathanael Su (Dozent für Saxophon, Ensemble und Harmonielehre) und Hämi Hämmerli als Vertreter der Fakultätsleitung gut vertreten.


Jam Session at Juttutupa

Aus dem Brief von Dave Liebman an die teilnehmenden Studierenden:

The guiding principle for the meeting is similar to what you naturally encounter in a musical situation whether it takes place in school, gigs or recording sessions. That is meeting total strangers with the goal of making music together. This automatically means displaying a positive and generous attitude towards others, some of whom may be musically ahead or behind your level. The objective, as in all the performing arts, is to perform at the highest level. Jazz in particular demands a balance between individualism and group cooperation to be successful. On a personal level in order to achieve this goal each person has to give up a bit of him or herself for the betterment of the group. This week will be a lesson in doing just that. SO LEAVE YOUR EGO AT HOME!!“


all the drummers

Erste unter Gleichen

Von Nathanael Su, Dozent an der Fakultät III für Harmonielehre, Saxofon und Workshops

Auch wenn die International Association of Schools of Jazz (IASJ) bereits ihr 13. Jahrestreffen -diesmal in Helsinki - abgehalten hat und somit nicht als neu“ bezeichnet werden kann, sind zwei Aspekte auszumachen, die dennoch als Novität betrachtet werden müssen. Der erste Aspekt ist bildungspolitischer, der zweite pädagogischer Natur.

Erstens:
Die Assoziation stellt den vielleicht vorläufigen, jedenfalls folgerichtigen Höhepunkt der erst ein gutes halbes Jahrhundert andauernden Entwicklung der institutionalisierten Jazzausbildung dar. Diese Entwicklung lässt sich, sehr grob vereinfacht, wie folgt darstellen: Die traditionelle Meister-Schüler Beziehung wird dadurch gebündelt, dass verschiedene sendungsbewusste Meister ihres Fachs am selben Ort unterrichten. Das macht noch keine Schule aus, da die Bündelung vorerst aus Platzgründen stattfindet. Erst die Aufgabenteilung und eine übergreifend inhaltliche, fachbezogene und zeitliche Koordination der Unterrichtsaktivitäten führen zur eigentlichen Schule. Verschiedene Schulen bemühen sich erfolgreich um Anerkennung im jeweiligen nationalen Bildungssystem, und beginnen gewisse Aktivitäten, Curricula u.ä. national zu koordinieren. Die bildungspolitische sowie gesellschaftliche Anerkennung wirkt wiederum positiv auf die Institutionen ein, die nun ihre Angebote und Aktivitäten weiter ausdehnen. Mit dieser generellen Entwicklung geht ein wachsendes Selbstbewusstsein der akademischen Jazz Community“ einher.

Hier tritt die IASJ auf den Plan und stellt sich die Aufgabe um die transnationale Koordination der Mitgliedinstitutionen bemüht zu sein. Die Veranstaltung in Helsinki war von dieser selbstbewussten Stimmung geprägt: dem Wissen um die Bedeutung der Aufgaben, die zu lösen sind einerseits, und gleichzeitig der Überzeugung, als Körperschaft über das nötige bildungspolitische Gewicht zu verfügen, diese Aufgaben auch lösen zu können.

Zweitens:
Die StudentInnen stehen im Mittelpunkt der jährlichen Treffen. Dieser Aspekt ist meines Erachtens besonders hervorzuheben, weil die StudentInnen die Basis der institutionellen Pyramide bilden. In Helsinki wurden keine Workshops im herkömmlichen Sinn abgehalten (also primär kein Transfer von Fachwissen von oben nach unten). Die StudentInnen wurden in 6 Ensembles eingeteilt - augenscheinlich nach dem Kriterium möglichst keine zwei aus demselben Land -, und zwei Ziele wurden vorgegeben: Ein öffentliches einstündiges Konzert, sowie die Aufnahme eines Stücks für eine CD-Produktion. Die Ensembles wurden jedoch nicht zu diesem Ziel geführt, sondern mussten über sprachliche, kulturelle, musikalische und persönliche Grenzen hinweg selber auf dieses Ziel hinarbeiten. Sie wurden also der Selbstorganisation und der Selbstverantwortung überlassen. Repertoire, Arrangements, Gestaltung, Ablauf etc. mussten selbst festgelegt werden. Die ihnen zugeteilten Lehrer hatten die ausdrückliche Weisung, diesen Prozess nicht zu dirigieren, sondern lediglich zu begleiten. Für die Arbeit stand eine hervorragende Infrastruktur zu Verfügung. Die öffentlichen Jam Sessions - kein Abend ohne Jam Session - wurden weit gehend von den StudentInnen dominiert und das auf hohem Niveau.
Sie konnten also in dieser Woche erleben, dass ihnen eine Haltung entgegen gebracht wird die sie nicht als unfertige, niedliche Ausgabe dessen, was man - später - MusikerIn nennt, wahrnimmt. Die Unterscheidung StudentIn-LehrerIn/MusikerIn ist innerhalb eines Lehrbetriebs zweifellos sinnvoll, wenn sich diese Unterscheidung auch manchmal in der gegebenen vertikalen Struktur oben – unten“ erschöpfen kann. Die IASJ-Veranstaltung ist jedoch kein konventioneller Lehrbetrieb, womit diese Grenzziehung hier ihre Relevanz verliert.
Durch die Aufhebung der strukturellen Reduits kam es zu einer anderen Art von Annäherung und Begegnung zwischen StudentInnen“ und LehrerInnen“. Beiden Seiten wurde unausgesprochen bewusst, dass sie, mit Ausnahme der zeitbedingten Erfahrung, Routine und Reife, durch nichts getrennt sind. Sie stehen im selben Beruf.
Das Selbstbewusstsein der StudentInnen, zu dieser Tätigkeit berufen zu sein, überzeugte eben sosehr wie das Selbstbewusstsein der Assoziation, ihre Aufgaben lösen zu können.

Der Fall der institutionellen Mauer liess ein wichtiges Moment zu Tage treten, nämlich, dass die StudentInnen aufgrund ihres Könnens und der Tatsache, dass sie sich diesem Beruf stellen, auf ihre diesbezügliche Verantwortung ansprechbar sind. David Liebman, künstlerischer Leiter der Veranstaltung, liess auch keine Gelegenheit aus, auf diese Verantwortung in ihrer ganzen Vielschichtigkeit hinzuweisen. Die StudentInnen wurden als Gegenüber wahrgenommen und somit anerkannt. In dieser Anerkennung liegt das Entscheidende des pädagogischen Aspekts.

Es ist wahrscheinlich nicht vermessen anzunehmen, dass die StudentInnen diese Erfahrung inspiriert nach Hause tragen, sei es nach Kyoto, Tel Aviv, Corfu, Texas, Santiago de Compostella, Stockholm, Siena, Köln, Basel, und der Herkunftsorte mehr.
Dort sind sie Einzelne, die in ihrem Selbstbewusstsein bestätigt wurden und den Ihren von der Erfahrung berichten können; dass ihnen Aufmerksamkeit, Zuspruch, Unterstützung, Bestätigung und, vor allem, Anerkennung zuteil wurde - als Erste unter Gleichen.


Lieb sings

Der Bericht von Franz Hellmüller, Gitarre (Hauptstudium Musikpädagogik & Performance):

Ich fühle mich geehrt, dass ich unsere Hochschule zusammen mit Marc Stämfpli, Nat Su und Hämi Hämmerli vom 29. Juni bis 6. Juli in Helsinki vertreten durfte. Über hundert Jazzer, aus über zwanzig Ländern, fanden sich für eine Woche zusammen, um zu spielen, sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Dave Liebmann hat meine Erwartungen mit dem Wochenprogramm und seinem Begleitbrief schon im Vorfeld in die Höhe geschraubt. Was ich dann schlussendlich in Helsinki erlebte, übertraf alle Erwartungen bei weitem.

Die Woche war extrem intensiv, gespickt mit Ensemble-Proben, Masterclasses, Lectures, Jam-Sessions, Konzerten und Studio-Sessions. Das Niveau war erstaunlich hoch, die Ensemble-Proben sehr dicht und intensiv. Die Masterclasses für Gitarre waren super. Auch die Vorträge, betreffend rhythmischen Übekonzepten, indischer Rhythmik, Syncopation, Urheberrechte und Arrangement war mehrheitlich sehr interessant. Und last but not least Dave Liebmann. Ich denke er war hauptverantwortlich für die Stimmung, die herrschte. In seiner täglichen Ansprache traf er jeweils die Herzen aller. Er etablierte Enthusiasmus, setzte uns unter Druck, motivierte, forderte, lobte und kritisierte mit seiner autoritären, aber freundlichen Art. Er verstand es, mit unglaublicher sprachlicher Eloquenz die Message so zu formulieren, dass sich jeder angesprochen fühlte, ihm alle gebannt zuhörten. Ich denke, nur schon seine Ansprachen, haben mich musikalisch weitergebracht.
Für mich war diese Stimmung, die über dem Meeting lag, wohl am wertvollsten: Musik war das absolute Zentrum und absolut omnipräsent, von 9h30 morgens bis 1h nachts Inputs. Während dieser Tage in Helsinki versank ich in einem Rausch von Ideen, und Eindrücken. Nicht nur die hellen Nächte im Norden, sondern vor allem auch diese Flut von Erlebnissen liessen mich (uns) nachts kaum noch schlafen. Ich spürte eine unglaubliche Energie in mir und unter den Studenten.

Das Meeting war perfekt organisiert. Wir konnten unter absolut professionellen Bedingungen arbeiten. Wir spielten in superschönen, stets gut besetzen Clubs. Selbst für Verpflegung tagsüber war gesorgt. Am Day-off kamen wir, nebst Sauna, in den Genuss, eines speziell für uns organisierten Konzertes finnischer Folksmusik, für mich eines der Highlights .

Neben dem musikalischen Dauerrausch konnte ich Freundschaften und Bekanntschaften schliessen, tolle Momente mit interessanten Menschen erleben. Speziell erwähnen möchte ich unser Luzerner-Team. Ich hatte zusammen mit Marc, Nat und Hämi eine super Zeit. Vielen Dank.

Ganz herzlichen Dank auch an die Schule, die mir ermöglichte, an diesem Meeting teilzunehmen. Ich habe extrem viele Ideen und Eindrücke mitgenommen und erlebte zudem eine tolle Zeit.


Teacher's Concert

Der Bericht von Marc Stämpfli, Schlagzeug (Hauptstudium Musikpädagogik & Performance):

Als Nat Su, Franz Hellmüller und ich abflogen, hatten wir nur einige Infos über den Ablauf dieses Treffens, wussten aber nicht, was uns dort in Finnland erwarten wird. Ich darf voraus nehmen, dass meine Erwartungen bei weitem übertroffen wurden. Diese Woche war so intensiv an Informationen, dass ich das Gefühl hatte, mit all diesen neuen Eindrücken geistig ständig im overload“ zu wandeln!
Am ersten Tag stand die Eröffnungszeremonie mit anschliessender Audition auf dem Programm. Es wurden Bands zusammengewürfelt, die vor vollem Haus, d.h. vor allen Dozierenden und Studierenden, einen Jam veranstalteten, um einen Überblick vom allgemeinen Niveau zu geben. Danach wurden alle Studenten in sechs Ensembles eingeteilt. In jeder Gruppe waren zwei Teachers“ anwesend, die mit uns arbeiteten und halfen ein Repertoire von fünf bis sieben Stücken (meist Eigenkompositionen der Studenten oder von anwesenden Lehrern) auf die Beine zu erarbeiten. Davon wurden am Donnerstag und Freitag ein bis zwei Tunes“ pro Band (10Min.) im hauseigenen Recording-Studio für eine CD, die jeder Teilnehmer bekommen wird, aufgenommen. Am Mittwochabend trafen wir uns alle im JUMO-Jazz-Club“ in Helsinki, um ein Konzert von New Finnish Jazz“-Musikern mit David Liebmann am Tenor- und Sopransax zu besuchen. Am Freitag und Samstag spielten dann jeweils drei Studenten-Combos ein öffentliches Konzert von ca. 45 Minuten im gleichen Club (dies war unser Schlusskonzert nach dieser Woche).
An drei Tagen fanden instrumentenspezifische Masterclasses“ statt und daneben waren an vier Abenden Jam-Sessions“ in der Juttutuppa-Bar“ angesagt. Dieses Lokal befindet sich in einem alten Gebäude, das einer Burg ähnelt und an einem hübschen kleinen See mitten in der Stadt liegt. Das Teachers-Concert“ fand dann am Donnerstag wegen etwas zu viel Wind und Regen statt in einem Park ebenfalls dort statt. Es wurde aber auch in der übrigen Zeit überall, wo sich eine Gelegenheit bot, in unterschiedlichen Besetzungen gespielt. Schon am ersten Abend im Juttutuppa“ wurde klar, dass das musikalische Niveau der Studenten sehr hoch war, und dass man die bekannteren Jazz-Standards gut kennen musste, um mitspielen zu können, denn es war an allen Sessions kein einziges Realbook“ zu sehen!
Franz und ich hatten jeden Abend im Hotelzimmer Gespräche darüber, was wir alles gesehen, gehört und erlebt hatten. Denn nach all diesen Eindrücken, die sich in so kurzer Zeit in unser Hirn eingebrannt hatten, brauchten wir Zeit zur Aufarbeitung.
Wir waren zuerst beide sehr beeindruckt, was einzelne Musiker zu bieten hatten – gegen Ende der Woche wurden diese Eindrücke dann aber doch teilweise relativiert, denn man merkte, wer was beherrschte oder wer wie vielseitig spielen konnte - und wer ausser Sport“ auch noch Musik machen konnte.

Trotzdem gab es in dieser Woche aber vorwiegend toll gespielte Musik zu hören. Ein bleibendes Erlebnis war für mich, als wir im Rahmen unseres Day-Off“ ein Konzert von zwei jungen finnischen Musikern der Sibeliusakademie hörten, die uns finnische Folk-Music“ vorstellten. Dies waren Emilia Lajunen, die ihre Violine wirklich grossartig spielte und Eero Grundström auf einem finnischen Harmonium, der uns wunderbare Eigenkompositionen vorstellte (selbstverständlich quer durch die Taktarten...). Sie spielten sehr tight“ zusammen und hauchten ihrer Musik extrem viel Gefühl ein. Mich hat diese Darbietung emotional sehr berührt. Emilia hat auf der Geige mittendrin eine Solo-Improvisation mit finnischen Folkmusik-Phrasen gespielt und dabei dermassen groovte. Nach dem Konzert ging es dann in die Sauna mit anschliessender Abkühlung im See.. Übrigens - die Stadt Helsinki mal zu besuchen, ist wirklich lohnenswert, denn diese Stadt kennt scheinbar keine Verkehrsstaus und ist mit so vielen hübschen Parkanlagen ausgestattet, die einem immer wieder das Gefühl geben, gar nicht in einer Stadt zu sein. Die Gebäude sind sehr verziert und farbenfroh und man fühlt sich gleich in eine andere Welt versetzt. Diese Stadt mit ihren Leuten strahlt eine enorme Gelassenheit aus. Hektik scheint für die Finnen sowieso ein Fremdwort zu sein...
Nun, am Ende dieses grossartigen Meetings steht für uns Studenten noch die Aufgabe an, alles Erlebte und Erlernte zu Verarbeiten und möglichst mit ein paar Leuten, die wir an diesem Treffen kennen gelernt haben, weiterhin in Kontakt zu bleiben.
Franz und ich waren uns jedenfalls bei der Heimreise einig, dieses IASJ-Meeting war einfach TIP TOP!!!


Franz Hellmüller, Studiosession

Die International Association of Schools of Jazz (IASJ) ist eine Interessensgemeinschaft von Jazzschulen auf allen Stufen mit Sitz am Royal Conservatory“ Den Haag, Holland. Das Ziel der IASJ ist die Förderung der Kommunikation zwischen Jazzschulen, Dozierenden und Studierenden aus verschiedensten Ländern. Die Hauptaktivität der IASJ ist die Veranstaltung von jährlichen Meetings, an denen gemeinsam Musik gemacht wird. Ausserdem veröffentlicht die IASJ regelmässig einen Newsletter und unterhält eine Mailingliste im Internet, in welchen aktuelle Themen diskutiert und der gegenseitige Austausch gepflegt werden. Künstlerischer Direktor und Gründer ist Dave Liebman, einer der gewichtigsten Jazzmusiker und Pädagogen im Jazz. Weitere Vorstandsmitglieder sind: Walter Turkenburg (Royal Conservatory, Den Haag), Karl Heinz Miklin (Kunstuniversität Graz), Gary Keller (University of Miami), Bernhard Hofmann (Jazz- und Rockschule Freiburg), Lola Huete (Taller de Musics, Barcelona).

Mehr Infos unter www.iasj.com, IASJ History (pdf)


HOCHSCHULE LUZERN MUSIK, ABTEILUNG JAZZ, ZENTRALSTRASSE 18, CH-6003 LUZERN, SWITZERLAND
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