Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

John Voirol und die Liebe zum Modus


John Voirol, Dozent an der Jazzfakultät der MHS Luzern, realisiert mit Pater Roman Bannwart ein Forschungs-Projekt, das gregorianischen Gesang mit den Improvisationen eines Saxophon-Trios verbindet. Das Vorhaben passt nahtlos in die Beschäftigung mit modaler Musik, der sich John Voirol seit einigen Jahren intensiver verschrieben hat – auch mit seiner aktuellen Band flow’n jazz“.

Gregorianische Choräle sind weit über 1000 Jahre alt und die ältesten Beispiele von notierter Musik im Abendland. Jazz andererseits ist eine vergleichsweise sehr junge Musikgattung , die erst seit 100 Jahren einen Teil der Welt in Aufregung versetzt. Mit seinem aktuellen Projekt geht John Voirol daran, diese beiden musikalischen Ausdrucksformen miteinander in Beziehung zu setzen. Eine CD-Produktion ist geplant sowie eine kleine Tour mit Konzerten, die in Kirchen aufgeführt werden.

Anders als jene kompositorischen oder improvisatorischen Versuche, die unterschiedliche Musikwelten möglichst gerne ineinander verschmelzen , lässt John Voirol den gregorianischen Gesang (fast) unangetastet. Statt eine Fusion von Gregorianik und Jazz macht er eine Gegenüberstellung. Das hat seinen Grund: Für Pater Roman Bannwart, mit dem zusammen ich das Projekt einstudiere, ist der gregorianische Choral unantastbar. Er möchte mit dem Choral selber keine Experimente machen“, sagt Voirol. Eine Haltung, die er gut respektieren kann.

15 Sängerinnen und Sänger – 3 Saxophone

Pater Roman Bannwart ist ein ausgewiesener Kenner der Gregorianik. Seit 1947 ist er Choralmagister des Klosters Einsiedeln. Er ist Lehrbeauftragter für Gregorianik an der Musikhochschule Luzern, Fakultät II sowie Leiter der Schola Romana Lucernensis, der Schola Gregoriana Turicensis und der Choralschola Collegiom Musicum Luzern. John Voirol und Roman Bannwart arbeiten seit 2001 regelmässig an diversen Gregorianik-Projekten und Workshops, in denen gregorianischer Gesang und jazznahe Ausdrucksweisen die Hauptrollen spielen.

Das aktuelle Projekt ist die bisher ausgereifteste Form ihrer Zusammenarbeit. Der gregorianische Teil wird von den 15 Sängern der Schola Romana Lucernensis bestritten, für die Jazz-Section sorgen die drei Musiker Roland von Flüe (Tenorsaxophon, Bassklarinette), Thomas Mejer (Basssaxophon, Kontrabasssaxophon), und John Voirol (Sopransaxophon &Altosaxophon,). Die gregorianischen Gesänge , die verwendet werden, sind dem Codex Einsidlensis 121 (10.Jh) und dem Codex Engelberg 314 (14.Jh) zum Thema "Gaudium et Spes" (Freude und Hoffnung) entnommen.

Weil die gregorianischen Gesänge in diesem Projekt weder frei verändert noch jazzig durchdrungen werden sollen, wird John Voirol das moderne Material vor oder nach den eigentlichen Gesängen anordnen. Sein Konzept will Tradition und Zeitgenössisches in Beziehung setzen. Der archaischen Tradition des gregorianischen Gesangs, wie er in Einsiedeln seit Hunderten von Jahren gepflegt wird, stellen wir drei Saxophone gegenüber, die das traditionelle Material aus heutiger Sicht reflektieren und interpretieren.“

Motiv, Modus, Text

Der gregorianische Choral ist ein einstimmiger und frei rhythmischer Gesang. Alle Sänger singen – in lateinischer Sprache - unisono, das heisst die genau gleichen Tonfolgen. Die Melodien sind auf vier statt - wie heute üblich - auf fünf Notenlinien in Quadratnotation geschrieben. Ursprünglich wurde nach sogenannte Neumen gesungen: Ein komplexes Regelwerk von Zeichen, die für jeden Ton Rhythmus, Länge, Dynamik und Artikulation festlegen. Die Wurzeln der gregorianischen Gesänge liegen im Orient (Syrien, Ägypten, jüdische Tempelgesänge). Ihr Name geht auf Papst Gregor dem Grossen (590 - 604 n.Chr.) zurück, der die zunächst mündlich überlieferten Choralstücke sammelte, ordnete und schriftlich fixierte.

Die Jazz-Section mit den Saxophonen wird das fix situierte Ausgangsmaterial der Gesänge in einem improvisatorischen Kontext verarbeiten. Das soll auf verschiedenen Ebenen geschehen, wobei der Bezug zu den einzelnen Gesangsstücken bestehen wird. Zum einen werden wir uns an den Modi orientieren, in denen die einzelnen Gesänge gehalten sind. In einem anderen Falle sind es melodische Motive, die wir in unterschiedlichen Konstellationen weiter verarbeiten oder verfremden. Schliesslich wird es Gesänge geben, bei denen wir uns allein von den Texten oder einzelnen Wortfolgen inspirieren lassen.“

Anders als das berühmte Projekt von Jan Garbarek mit dem Hilliard Ensemble, das ebenfalls Gregorianik und Improvisation verband, wird John Voirol den Choral-Teil vom Impro-Teil klar trennen und gleichzeitig dem Klanglich-Experimentellen einen grösseren Stellenwert geben. Ich möchte möglichst eine breite Palette der zeitgenössischen Saxophonsprache ausschöpfen. Inspiriert vom jeweiligen Choral-Thema werden die Parameter Klangfarbe, Expressivität und Intensität gewählt. So werden nebst Melodiebögen auch perkussive und geräuschhafte Elemente verwendet um ein bestimmtes Klangbild wiederzugeben.

Keine Esoterik

Mit Sicherheit werde dieses Projekt keine esoterische Geschichte“ geben, sagt Voirol. Strukturierte Teile sollen neben frei fliessenden Passagen stehen, Zartes wird auch heftig werden, ungewohnte Klangfarben dürften die Kompositionen bereichern. Aufgenommen wird die CD im abgeschiedenen St. Gerolds Kloster in Österreich, wo auch Garbarek und das Hilliard Ensemble ihre Stücke eingespielt hatten.

Das Interesse für die Gregorianik hat sich bei John Voirol ganz natürlich ergeben. Es war nicht eine krampfhafte Suche nach einer neuen Mischform, sondern eher eine Neuentdeckung dessen, was ihn schon länger interessiert hat. Die gregorianischen Gesänge sind der Ursprung unserer Musik und insbesondere des modalen Spiels. Die modale Spielweise im Jazz hat John Voirol schon immer stark berührt. Ein Modus ist eine Reihe von Tönen mit denen eine Melodie, eine ganze Komposition und Akkorde gebildet werden.

Im modalen Jazz, oder in der modalen Musik im Allgemeinen , steht der Modus (die Tonreihe) mit seiner charakteristischen Klangfarbe im Zentrum des musikalischen Geschehens. Die Dramaturgie, die Form und der Harmonische Rhythmus ist spontan und vom Moment abhängig. Darin unterscheidet sich im wesentlichen die modale Musik von der funktionsharmonischen Musik. Während die letztere auf ein starkes hierarchisches System der Töne untereinander aufbaut, ist die modale Musik viel offener. Das modale Spiel im Jazz eröffnete Miles Davis, vor allem mit seinem berühmten Quintett in den Sechziger Jahren. Auch John Coltrane hat dem modalen Jazz mit Aufnahmen wie My Favourite Things oder Impressions glanzvolle Höhepunkte beschert.

Flow’n Jazz

Der Umgang mit den Modi führt er nicht zuletzt mit seinem aktuellen Bandprojekt flow’n jazz“ vor, das mit Heiri Känzig (Bass), Christoph Stiefel (Keyboards) und Marc Halbheer (Drums) prominent besetzt ist. Mit flow’n jazz setzt John Voirol explizit auf die modale Denkweise. Dabei werden in den Kompositionen und Improvisationen sowohl traditionelle Kirchentonarten zum Ausgangspunkt genommen, wie neuere Modi. Die Suche nach interessanten Tonfolgen, die innerhalb der 12 Töne möglich sind, fasziniert mich. Das Beschäftigen mit einer Vielzahl an charakteristischen Modi bereichert nicht nur das melodische Bewusstsein sondern ermöglicht das Bilden von Akkordprogressionen, die von Klischées entfernt sind.“

Aus seiner intensiven Beschäftigung mit den Modi hat John Voirol sogar einen speziellen Kurs gestaltet, der an der Jazzfakultät als Wahlfach angeboten wird. Modale Harmonik. Von der Gregorianik bis zu Steve Coleman“ lässt die Studierenden eine Spielweise kennen lernen, in der archaische Tradition und freies Spiel verblüffend nah beieinander liegen: Die Gregorianik , die nach über 1000 Jahren noch immer nach den überlieferten Regeln funktioniert, hat die gleichen Grundbausteine wie der modale Jazz, aus dem sich Mitte der Sechziger Jahre nahtlos der Free-Jazz und aktueller M-Base entwickelte. Womöglich haben klare Regeln und grösstmögliche Freiheit mehr miteinander zu tun, als man gemeinhin denken könnte. Wer sagt hier paradox?

Pirmin Bossart, Journalist

John Voirol

John Voirol spielt Tenor-, Sopran-, Altsaxophon, Oboe, Klarinette, Synthophone und arbeitet als Komponist und Arrangeur. Er ist Dozent an der Fakultät III der Musikhochschule Luzern (Jazzabteilung). Er lebt mit seiner Familie in Hochdorf.

Nach der Jazzschule Bern (Andy Scherrer,) absolvierte John Voirol die Masterclass bei Dave Liebman und Clinics bei Ken McIntyre in New York. Er spielte im Montreux Jazz 4tet mit Thierry Lang, in der Vince Benedetti Big Band und mit Glenn Ferris in Free Pulse . Ein langjähriges Projekt in diversen Besetzungen war das John Voirol Extra Ensemble, deren musikalisches Konzept von Seeabenteuer eines Edgar Allan Poe oder Jules Verne inspiriert war.

In den neunziger Jahren war John Voirol an weiteren, diversen CD-Produktionen und Live-Auftritten beteiligt, so dem Teddy Bärlocher Swiss Jazz Report und Gil Goldstein, dem Adrian Frei 4tet, John Wolf Brennan, dem Secret Passion Orchestra oder Dave Doran Rhythm Voice mit Mr.Defunkt Joseph Bowie. Sein aktuelles Projekt ist die Band flow‘n jazz , die 1999 eine CD im Eigenvertrieb veröffentlichte und schon einige Auftritte hinter sich hat.

Daneben unterhält John Voirol das Duo Kap der guten Hoffnung“ mit Vinz Vonlanthen (freies Klangabenteuer) und ist auch Mitglied im Lars Lindvall Tentett. Er war Solist an der EXPO Hannover 2000 (CH-Pavillon) und anlässlich der CH-EXPO 02 am Aargauer Tag“ mit der Christoph Baumann BigBand beteiligt.


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