Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Bruno Spoerri - ein Portrait


Bruno Spoerri Photo

Vielleicht ist der musikalische Weg von Bruno Spoerri an seiner jeweiligen Frisur festzumachen. Ganz alte Fotos zeigen einen properen jungen Mann mit Anzug und Krawatte. Die Haare sind möglicherweise für jene Zeit, - wir befinden uns tief in den 1950er-Jahren, - etwas zu lang, die Beatles waren noch weit weg. Bruno Spoerris Musik war auf der Höhe der Zeit. Popmusik und Jazz hatten ihre langjährige Ehe kurz zuvor geschieden, die wilden Bebopper waren ausgebrannt, es war die hohe Zeit des Cool Jazz. Bruno Spoerris Outfit passte nahtlos zu den amerikanischen Vorbildern.
Zehn Jahre später hatte sich die Krawatte gelockert, Bruno Spoerri war Teil des Metronome Quintetts, war musikalisch erwachsen geworden, und trug eine Brille im Stil der Existenzialisten.
Und nach nochmals einer Dekade waren die Haare deutlich gewachsen, die Kleidung auf der Bühne präsentierte sich in der Nachfolge von Sergeant Pepper, mit Rüschenhemd und Samtveston.
Heute ist Bruno Spoerri ein Elder Statesman des Jazz, ein agiler älterer Herr, mit grauem Bart und einer Frisur, die zwar im Laufe der Zeit wieder kürzer geworden war, den Schnitt der wilden Jahre aber kaum verleugnet.
Musikalisch ist er wieder an den Anfang seiner Karriere zurückgekehrt, zum coolen Mulligan-Sound. Four for Mulligan“ heisst sein derzeitiges Hauptprojekt. Ein Quartett mit Trompete und Baritonsaxophon, Bass und Schlagzeug spielt all die wunderbaren alten Titel des Meisters: Lion For Loins Bernie’s Tune“, My Funny Valentine“. Und einer der ersten Partner ist wieder dabei: Das Trompeten-Urgestein Umberto Arlati, auch er längst AHV-Bezüger, aber immer noch fit, wenn’s drum geht, den Tarif zu erklären. Das war die Initiation für Bruno Spoerri als Musiker, damals 1953, als der achtzehnjährige sein Vorbild Gerry Mulligan mit Chet Baker leibhaftig auf der Bühne sah. So schnell wie möglich musste ein Baritonsax her, und kurze Zeit später war Bruno Spoerri der Schweizer Gerry Mulligan. Er befand sich damit in guter europäischer Gesellschaft, fast jedes Land hatte seinen“ Mulligan, in Schweden war das Lars Gullin, in Deutschland Helmuth Brandt, in England Ronnie Ross. Mulligan und Baker waren Superstars, und jeder mit einer Trompete oder einem Bariton konnte sich ein Stückchen von deren Aura abschneiden.
Angefangen mit dem Saxophon, der Musik überhaupt, hatte es bei Bruno Spoerri aber schon ein paar Jahre früher.
Vater Albert Spoerri war in den zwanziger Jahren der erste Betriebsleiter von Radio Zürich. Damals gab es noch keine Tonbandgeräte, die Musik für’s Radio wurde live im Studio gespielt. Eines Tages kam ein Familienquartett um das musikalische Nachmittagsprogramm zu bestreiten, ein Vater und seine drei Töchter. In die eine der beiden, die Geigerin Lore Schein, verliebte sich Vater Spoerri, er soll im selben Augenblick beschlossen haben, das sie seine Frau werden würde. Wurde sie auch. Bruno kam 1935 zur Welt. Die Mutter versuchte ihre Musikerinnen-Laufbahn weiter zu verfolgen, neben Familie und Kind, dafür war aber wohl die Zeit noch nicht reif. Die Ehe wurde geschieden, Bruno kam zu seinem Vater. Die Mutter hatte allerdings die musikalische Begabung des Sprösslings schon früher erkannt, Bruno wurde zum Wunderkind erklärt und in die Klavierstunde geschickt. Das Klavier verleidete ihm in kurzer Zeit, aber der Musikvirus blieb. Ein Junge in Brunos Klasse hatte eine Schülerband, er selber spielte Klavier, wenn Bruno also mittun wollte, musste er etwas anderes anbieten. Der Musikalienhändler um die Ecke empfahl die Hawaiigitarre, als einfach zu lernendes Instrument und hatte zufällig auch eine am Lager. Ein Saxophon hatte er auch, und er nahm die Hawaiigitarre ein paar Wochen später an Zahlung dafür. Bruno Spoerri begann zu üben, der Händler hatte ihm ein paar Griffe gezeigt, den Rest lernte er selbst. Und parallel zum Saxophon entdeckte Bruno Spoerri den Jazz.
Im Film Tschäss“ zeigte Matthias Gnädinger vor einigen Jahren, was das in den Wirtschaftswunderjahren heissen konnte. Als er seinen Film-Sohn dabei überraschte, wie der auf der Trompete etwas anderes als Marschmusik spielte und das mit seiner Liebe zum Jazz begründete, meinte Gnädinger in seinem unnachahmlichen Schaffhauser Dialekt: Jazz? Jazz isch für Versäger!“
Bruno Spoerri hatte das Glück, dass man nicht einen Versager in ihm vermutete, obwohl er zwischenzeitlich wegen schlechter Schulleistungen in ein Internat in Davos versetzt worden war. Zurück in Basel und im Gymnasium wurde der Jazz zunehmend wichtiger. Im Bank neben Bruno sass die Konkurrenz auf dem Saxophon, Mario Schneeberger, das Niveau wurde höher. So hoch, dass Bruno Spoerri am Zürcher Amateurfestival 1954 den Preis für den besten Saxophonisten abholte.
Die fünfziger Jahre waren die grosse Zeit des Amateurjazz. Wenn man bescheiden genug blieb, bekam man Auftritte so viel man wollte. Bruno Spoerri wollte und bekam. Zwar hatte er nach der Matur ein Psychologiestudium begonnen, aber fast jeden Abend spielte er irgendwo. Meistens waren das Bälle und Feste, da war Tanzmusik gefragt, aber ein gutes Drittel Jazz war durchaus in einen Abend zu schmuggeln. Im Francis Notz Septett jener Jahre sassen ein paar der kommenden Grössen des Schweizer Jazz, ausser Bruno Spoerri waren das George Gruntz, Umberto Arlati und K.T.Geier. Parallel dazu kam ab 1956 die Modern Jazz Group Freiburg i.B. dazu, mit der Bruno Spoerri am Festival in Düsseldorf spielte. Auch dort holte er einen zweiten Platz, verwies Klaus Doldinger auf den dritten. Gleichzeitig trat er dem Metronome Quintett bei, gründete ein Big Band, und holte sich endlich so etwas wie eine Theorieausbildung. Der Basler Komponist Robert Suter, der auch ein brillanter Dixiepianist ist, unterrichtete ihn in Harmonie- und Formenlehre, Kontrapunkt und allem andern, was üblicherweise zu einer seriösen Ausbildung gehört. Nach Abschluss des Psychologiestudiums folgte eine Stelle als Psychologe in Biel, die Heirat und die beginnende Weiterbildung zum Psychoanalytiker. So hätte es jetzt weitergehen können, gut verdienender Psychologe und Familienvater mit Hobby Jazzmusik. Nur funktioniert Bruno Spoerri nicht so, wenn’s zu glatt geht, bricht er aus. 1964 suchte eine Agentur jemanden, der fähig war, eine Musik für einen Werbespot zu schreiben. Bruno Spoerri machte sich an die Arbeit, und entledigte sich der Aufgabe so gut, dass er als Tongestalter angestellt wurde. Dies war von den Verantwortlichen in doppelter Hinsicht ein mutiger Schritt. Erstens gaben sie dem neu geschaffenen Job das Anforderungsprofil Tongestalter“, was man heute mit Sounddesigner übersetzen würde. Und zweitens gaben sie ihn einem knapp dreissigjährigen Mann, der keine Ahnung hatte, was dieses Profil beinhaltete. Bruno Spoerri brach seine Ausbildung ab, kündigte den Psychologenjob und stürzte sich ins Abenteuer Werbefilmmusik. Anfangs der sechziger Jahre war vieles im Umbruch, die gemütlichen Nachkriegsjahre waren vorbei, an allen Fronten kündigte sich das an, was sich 1968 entladen sollte. In der Medienlandschaft herrschte Aufbruchstimmung, das Fernsehen wurde langsam mehrheitstauglich, selbst traditionelle Unternehmen spürten die Zeichen der Zeit, und begannen in Marketing und Werbung zu investieren. Die SRG zog nach und führte ab 1965 das Werbefernsehen ein. Bruno Spoerri hatte aufs richtige Pferd gesetzt, er hatte Arbeit in Hülle und Fülle und verdiente entsprechend. Kam dazu, dass eine der ersten Arbeiten, an der er beteiligt war, ein Spot für Bic-Kugelschreiber, in Cannes einen ersten Preis gewann. Das Geschäft lief wie geschmiert. Bruno Spoerri produzierte, komponierte, engagierte Musiker, spielte selber, und lieferte das fertige Produkt seiner Partnerwerbeagentur ab. Zunehmend wurde die Klangwelt seiner Tonspuren reicher, Musique Concrète begann zu interessieren, frühe elektronische Klangerzeuger wie die Ondes Martenot“ kamen dazu und zusammen mit seinem Tonmeister Walter Wettler begann er mit Bandmaschinen zu experimentieren, die Bänder schneller oder langsamer oder rückwärts laufen zu lassen, sie neu zusammen zu setzen. Von da ist der Schritt klein zu synthetisch generierten Klängen. 1966 besuchte Bruno Spoerri einen Elektronik-Kurs bei einem Assistenten des grossen Karl-Heinz Stockhausen in Köln, und kam mit einer Mappe voller Bauplänen und Ideen heim. Richtige Synthesizer gab es zwar schon, Robert Moog hatte ein Modell auf dem Markt, das aber völlig unerschwinglich war. Also bauten Wettler und Spoerri ihre Maschinen selbst. Als nächsten Schritt gründete Spoerri sein eigenes Studio mitsamt Produktionsgesellschaft und tätigte als erste Anschaffung einen Synthesizer. Der EMS Synthi 100 war so gross wie ein Wandschrank und kostete 50000 Franken. In der Villa am Zürichberg, wo das Studio eingerichtet war, gingen die Grössen der eidgenössischen Popmusik jener Tage ein und aus, Toni Vescoli, Krokodil und Schlagerstar Paolo Del Medico. Bruno Spoerri begab sich auf den schlüpfrigen Boden des Popbusiness und produzierte wild ins Blaue hinaus. Die Experimentelle Rockmusik des Ostschweizers Steff Infrasteff“ Signer, Poesie und Musik“ des Barden René Bardet und vor allem die aufwändigen Produktionen von Hardy Hepp brachten ihn allerdings an den Rand des Ruins. Er löste die Firma auf und begann wieder im Auftragsverhältnis zu arbeiten. Nach und nach zog er sich von der Werbung zurück, und vertonte zunehmend Fernseh- und Kinofilme. Die Liste der Regisseure, mit denen Bruno Spoerri arbeitete, reicht von Markus Imhoof über Rolf Lyssy bis zu Samir.

Während dieser ganzen hektischen Zeit war der Saxophonist Bruno Spoerri immer aktiv. Er brachte seine verschiedenen Leidenschaften zusammen, elektrifizierte das Saxophon, spielte das neue Lyricon, begann die Elektronik auf der Bühne nutzbar zu machen. Auch der Jazz hatte sich in dieselbe Richtung entwickelt, und Spoerris Bands Jazz Rock Experience“, später Container“, Peaches and Waves“ oder die Isolierband“ spielten mit den Möglichkeiten, die das neue Instrumentarium bot. Bruno Spoerri war zwar Elektroniker der ersten Stunde, er war aber immer Musiker geblieben, die Maschinen hatten sich in den Dienst der Musik zu stellen, nicht umgekehrt. Konsequenterweise beschäftigt er sich heute mit interaktiven Systemen, die ihm die Möglichkeit geben mit seinen Geräten in musikalische Kommunikation zu treten.
Seit gut fünfzig Jahren ist Bruno Spoerri Teil der Szene, er überblickt einen guten Teil der schweizerischen Jazzgeschichte, und nicht nur der, aus eigener Erfahrung und Anschauung. Und Bruno ist ein Sammler, seine Karriere ist lückenlos dokumentiert, schubladen- und gestellweise hat er altes Material, Fotos, Bänder, LPs. Die Musikhochschule Luzern tat also einen guten Griff, als sie ihm erstens einen Lehrauftrag für Jazzgeschichte gab, und ihn zweitens damit beauftragte, in einem grossen Forschungsprojekt diejenige des Schweizer Jazz aufzuarbeiten. Im Moment laufen die Vorarbeiten. Autoren müssen gesucht werden, Bewilligungen für Archivbenützung eingeholt, alten Kontakte neu geknüpft und Termine koordiniert werden.
Bruno Spoerri ist mittlerweile 67-jährig. Und irgendwie passen die Arbeiten zur Jazzgeschichte zu seinem Alter. Im dritten Lebensabschnitt verlangsamt sich das Tempo, auch bei Bruno, anders als früher schaut er öfters zurück, was war, was entwickelte sich daraus, was bleibt, was kommt noch? Zu sagen, dass er seinen Nachlass ordnet, wäre etwas zu früh, aber öfter tritt Bruno Spoerri mit Projekten an die Öffentlichkeit, die retrospektiv zu nennen wären. Für das Portraitkonzert an der Hochschule für Musik in Zürich vor einem Jahr sichtete er alte Big Band Arrangements, holte Partituren aus seinem Archiv, präsentierte seine Musik der letzten Jahrzehnte. Soeben hat er eine CD veröffentlicht mit Aufnahmen seines Duos mit dem belgischen Bruder im Geiste Joel Vandroogenbroeck, Aufnahmen aus den frühen Achtzigerjahren. Er, der eigentlich ein Sammler ist, einer, dem es schwerfällt etwas wegzuwerfen, beginnt tatsächlich mit Aufräumen, im übertragenen und wirklichen Sinn. Alte Zeitungsartikel, Periodika aus längst verflossenen Zeiten als Psychologe, Bänder mit Musik, die nicht für die Ewigkeit bestimmt war, landen im Papierkorb. Jazz ist Improvisation, ist Kommunikation, entsteht im Zusammen- und Gegenspiel von Individuen. Und Jazz entsorgt sich selber, es schadet nichts, wenn auch die Umgebung der Musik schlank gehalten wird. Aber Bruno Spoerri räumt auf, um für Neues Platz zu machen. Was das genau ist, weiss er noch nicht, er hat zwar den Kopf voller Ideen, aber sie haben sich bis jetzt noch nicht konkretisiert. Aber die neuen Möglichkeiten werden kommen. Bisher kam alles im richtigen Augenblick, das wird wieder passieren, da ist er sich sicher. Und wenn der Schreibtisch frei ist, wird es der Kopf auch. Wir werden noch hören von Bruno Spoerri. Bald. Und hoffentlich noch lange.

Beat Blaser

Bruno Spoerri auf CD:

Joel Vandroogenbroeck – Bruno Spoerri: Double Brain“ (1981-85) I.C.M. cd 001

Alphageneric#Taurus : Island of Lost Tapes“ (2001) Bruno Spoerri, Marco Repetto, Dani Wihler Inzec Records 009

Albert Mangelsdorff - Bruno Spoerri - Christy Doran - Reto Weber: Shake, shuttle and blow“ (1999) (enja records ENJ-93742)

Albert Mangelsdorff - Bruno Spoerri - Ernst Reijseger - Reto Weber: Movin'on“ (1991) (Elite Special CDJ 76357)

Bruno Spoerri - Reto Weber: Controlled Risk (1988) (Konnex ST 5017)

Remo Rau: Universal Jazz/Cosmic Classics (1994) (MGB CD 9404)

einzelne Titel:

"Hausmusik" on CD: "Swiss Waves" Schweizerisches Zentrum für Computermusik (1995)

"Etude pour usines à fer" on CD Schweizerisches Zentrum für Computermusik (1998) (stv 004)

Mehr Infos zu Bruno Spoerri:
www.computerjazz.ch


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