Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Music Talks XII - Nils Wogram
Keine Panik vor Wiederholung


Im Rahmen eines Seminars mit dem Titel «Jazz in der Schweiz: Gefängnis oder Paradies» standen drei Dozenten der Jazzabteilung der Hochschule Luzern - Musik Red und Antwort. Der Wahlzürcher Nils Wogram, den viele für den herausragendsten deutschen Posaunisten seit Albert Mangelsdorff halten, sprach sich dezidiert für «Working Groups» aus, also für Formationen, die über einen längeren Zeitraum kontinuierlich einen eigenen Bandsound entwickeln und verfeinern.


Nils Wogram

Music Talks
Mit der Gesprächsserie “Music Talks” lädt die Jazzabteilung der Hochschule Luzern ein zu facettenreichen Begegnungen mit profilierten Persönlichkeiten des Gegenwartsjazz. Die Gespräche drehen sich nicht nur um den Werdegang und das künstlerische Schaffen dieser Persönlichkeiten: Anhand von Tonbeispielen sollen auch persönliche musikalische Vorlieben diskutiert werden. Die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Jazz soll ebenfalls aufs Tapet gebracht werden. Die Gespräche werden geführt von Tom Gsteiger, Journalist und Dozent für Jazzgeschichte.

In Zusammenarbeit mit:
Musik-Forum Luzern

Vor rund einem Jahrzehnt verschlug es Nils Wogram aus amourösen Gründen von Köln nach Zürich, wo er inzwischen zweifacher Familienvater geworden ist. War mit diesem Ortswechsel für den 1972 in der Nähe von Braunschweig geborenen Posaunisten auch in künstlerischer Hinsicht ein Neuanfang verbunden? Wogram verneint: Die kontinuierliche Arbeit mit festen Bands liege ihm sehr am Herzen und da er seine Tourneen langfristig plane, sei es nicht so wichtig, wo er wohne.

Obwohl er der Versuchung, bei einem speziellen Projekt mitzumachen, nicht immer widerstehen kann, spricht sich Wogram dezidiert für «Working Groups» aus und nennt als wichtige historische Vorbilder die Quintett-Formationen von Miles Davis und das John Coltrane Quartet. «Solche Bands entstehen aus einer künstlerischen Notwendigkeit heraus», hält Wogram fest und führt weiter aus: «Daraus resultiert eine tiefe Verbindung und ein grosses Vertrauen zwischen den Musikern, die darum nicht nur exzentrisch, sondern auch banddienlich spielen und das ergibt dann im besten Fall einen unverwechselbaren Bandsound.»

Nun ist es heutzutage nur für absolute Ausnahmefiguren wie Wayne Shorter möglich, mit bloss einer Band über die Runden zu kommen. Das Beispiel von Nils Wogram zeigt aber, dass man durchaus diversifizieren kann, ohne sich heillos zu verzetteln: Als Bandleader fokussiert er sich abwechselnd auf eine seiner vier Bands und als Sideman ist er regelmässige Kooperationen mit dem Schweizer Schlagzeuger Lucas Niggli und der japanischen Wahlberliner Pianistin Aki Takase eingegangen (dazu kommen noch ein paar ganz unterschiedliche Duos, zum Beispiel mit dem Pianisten Simon Nabatov oder der Sängerin Saadet Türköz). So ist also gleichzeitig für Abwechslung und Kontinuität gesorgt.

Obwohl Wogram fast alle Stücke für seine Bands selber komponiert, legt er Wert darauf, mit jeder Band ein anderes, spezifisch auf die Stärken der Musiker zugeschnittenes Repertoire zu pflegen. Dabei geht es ihm allerdings nicht darum, möglichst bequem im eigenen Saft zu schmoren: «Natürlich ist es wichtig, dass sich im Zusammenspiel eine gewisse Gelassenheit entwickelt. Aber als Bandleader muss man auch spüren, wann sich ein Repertoire verbraucht hat und dann muss man eben neue Herausforderungen für die Band suchen und darf dabei auch keine Angst vor Brüchen haben.» Die Behauptung, Jazzmusiker würden sich ja sowieso jeden Abend neu erfinden, hält Wogram allerdings für Quatsch: «Man sollte keine Panik vor Wiederholung haben. Wenn man ein musikalisches Statement Abend für Abend perfektioniert, kommt es mit der Zeit zu einer Art Morphing zu etwas Anderem hin. Innovation lässt sich nicht erzwingen und wird sowieso überschätzt.» Der Teufel steckt also im Detail.

Die älteste nach wie vor aktive Wogram-Band ist das Quartett Root 70, das im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurde. Risikofreude und abgebrühte Coolness gehen bei dieser Formation, die sich in letzter Zeit auf Konzeptalben spezialisiert hat, Hand in Hand; auf «On 52nd 1/4 Street» gibts Viertelton-Bebop zu hören und auf «Listen To Your Woman», dem ersten Album auf Wograms eigenem Label nWog-Records, wird die Bluestradition einem futuristischen Facelifting unterzogen. Der aus Neuseeland stammende Globetrotter Hayden Chisholm tönt auf dem Altsax wie eine futuristische Version von Paul Desmond: sophisticated und sexy, aber eben auch verrückt (seine Webpage www.softspeakers.com zählt zum Besten, was die Jazz-Blogsphäre zu bieten hat). Chisholms Landsmann Matt Penman zählt nicht von ungefähr zu den gefragtesten Kontrabassisten in New York - er war auch schon mit Joshua Redman und John Scofield auf Tournee. Komplettiert wird das Quartett durch Wograms Landsmann Jochen Rückert, dem das Kunststück geglückt ist, sich in New York zu etablieren, wo er u.a. mit dem Piano-Magier Marc Copland spielt. Rückert ist ein Feinmotoriker der Extraklasse, der jeden noch so vertrackten Groove scheinbar mühelos aus dem Handgelenk schüttelt.

Zu Root 70 führt Wogram aus: «Es geht um einen transparenten Bandsound ohne Harmonieinstrument. Wir alle lieben die Jazztradition und wollen wirklich ernsthaft etwas Neues damit anfangen, wobei die Musik möglichst subtil sein soll. In den ersten Jahren spielten wir ganz viele ungerade Metren und irgendwann kam die Anwendung von Vierteltönen, also die Unterteilung der Oktave in 24 statt 12 Töne, hinzu.» Schaut man sich die Credits auf den Root-70-CDs genau an, merkt man schnell, dass der Umgang mit historischem Studio-Equipment ebenfalls zu den Steckenpferden von Wogram gehört. Die Suche nach dem «perfekten» Sound treibt ihn eben nicht nur als Posaunisten um.

Man liegt nicht total daneben, wenn man Root 70 im Schnittpunkt von Wograms musikalischen Interessen ansiedelt. Ein weiterer wichtiger Pol dieser Interessen besetzt das Trio Nostalgia, dessen Musik allerdings nicht die geringste Spur falscher Nostalgie verströmt. Mit Florian Ross an der Hammond-Orgel und Dejan Terzic am Schlagzeug gelingt es Wogram, Anklänge an die Jazztradition auf zeitgemässe Weise in Feelgood-Vibrationen zu versetzen. Als Wogram von 1992 bis 1994 in New York studierte wurde er von seinem Nachbarn, einem Hammond-Spieler, an Jam-Sessions in Harlem mitgeschleppt. «Als ich nach Köln zurückkam, war ich eigentlich ein absoluter Bebop-Typ, aber das hat dort niemanden so richtig interessiert und so hatte ich viele Gigs, die mit Jazz nicht viel zu tun hatten. Mit der Zeit hat mich das genervt, immer diese abstrakte atonale Musik zu spielen, die nicht groovt», sagt Wogram.

Man darf Nostalgia also durchaus als Gegenprogramm zu einem übersteigerten Modernismus verstehen. Dass es Leute gibt, die das für «altmodische Jazzkacke» (Wograms Worte) halten, stört Wogram nicht - sein Motto lautet: «Love it or leave it!» Wem das Trio zu traditionell ist, dürfte dafür vielleicht an Wograms Septett Gefallen finden. Mit vier Holzbläsern, zwei Blechbläsern und einem Schlagzeuger ist diese Gruppe ziemlich ungewöhnlich instrumentiert. Mit dieser Band will Wogram nicht zuletzt einen warmen, dunklen Klang realisieren, wobei ihm der Sound von Gil Evans als Orientierungshilfe gilt.

Obwohl für ihn selbst der Bezug zur Jazztradition wichtig ist, hat Wogram kein Problem damit, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die einen anderen Background haben. Wird er allerdings mit der Behauptung «Wir machen unser eigenes europäisches Ding und das ist origineller als der amerikanische Jazz» konfrontiert, reagiert er mit Kopfschütteln, denn mit Entweder-Oder-Dichotomien kann er definitiv nichts anfangen. Und darum antwortet er auch auf die Frage «Jazzschule ja oder nein?» differenziert: «Wenn man den Sinn einer solchen Schule nicht sieht, sollte man keine besuchen. Wenn man sich für eine Schule entscheidet, sollte man das Angebot annehmen und Nutzen daraus ziehen. Ich gebe den Studierenden Tipps mit auf ihren Weg, was sie damit anfangen, bleibt ihnen selbst überlassen. Entscheidend ist dann sowieso die Zeit nach der Schule - da trennt sich die Spreu vom Weizen.» Dank den Schulen gebe es heutzutage viel mehr gut ausgebildete Musike als früher, die Anzahl an wirklich originellen, herausragenden Figuren habe aber sicher nicht zugenommen, lautet Wograms Fazit.

Zum Schluss wollen wir von Wogram noch etwas mehr über seine Inspirationsquellen erfahren. Als Kern nennt er die grossen Gruppen der Jazz-Moderne - darum herum gruppieren sich dann weitere Einflüsse aus ganz unterschiedlichen Bereichen, zum Beispiel Frank Zappa, der Brasilianer Hermeto Pascoal oder die Oper «Wozzeck» des Zwölftöners Alban Berg. Aus dem Bereich des zeitgenössischen Jazz nennt Wogram Django Bates, Andy Laster und Doug Hammond, der M-Base spielte lange bevor Steve Coleman diesen Begriff erfand. Trotz der Vielfalt der Inspirationen, plädiert Wogram übrigens für den Mut zur Lücke: «Man sollte nur an Zeugs arbeiten, das einem wirklich gefällt. Man sollte also seinem Herzen folgen und Farbe bekennen.» Wogram ist sich sicher, dass man für jede Art von Musik ein Publikum findet, sofern man wirklich dahinter steht.

nilswogram.com

Tom Gsteiger


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