Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Music Talks XIV - Ed Partyka
Big is Beautiful: Ed Partyka kann nicht genug von Bigbands kriegen


Mit Ed Partyka hat die Jazzabteilung der Hochschule Luzern - Musik einen mit allen Wassern gewaschenen Bigband-Kapitän an Bord geholt. Im Music Talk sprach Partyka über die ungebrochene Faszination für die Musik Duke Ellingtons, seine Lehr- und Wanderjahre, die ihn nach Europa führten, sowie die «verspätete», aber äusserst fruchtbare Begegnung mit Bob Brookmeyer.


Ed Partyka

Music Talks
Mit der Gesprächsserie “Music Talks” lädt die Jazzabteilung der Hochschule Luzern ein zu facettenreichen Begegnungen mit profilierten Persönlichkeiten des Gegenwartsjazz. Die Gespräche drehen sich nicht nur um den Werdegang und das künstlerische Schaffen dieser Persönlichkeiten: Anhand von Tonbeispielen sollen auch persönliche musikalische Vorlieben diskutiert werden. Die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Jazz soll ebenfalls aufs Tapet gebracht werden. Die Gespräche werden geführt von Tom Gsteiger, Journalist und Dozent für Jazzgeschichte.

In Zusammenarbeit mit:
Musik-Forum Luzern

Die Ausgangslage: Man kann mit einer Zeitmaschine an drei Konzerte in der Vergangenheit reisen. Man hat also die Qual der Wahl. Ed Partyka scheint unter dieser Qual allerdings nicht allzu sehr zu leiden - ohne grosse Umschweife entscheidet er sich für Duke Ellingtons berühmtes Konzert am Jazzfestival Newport 1956, bei dem der Tenorsaxofonist Paul Gonsalves das Publikum mit seinen 26 Chorussen über «Diminuendo and Crescendo in Blue» regelrecht in verzückte Raserei versetzte, und für einen «guten Abend» mit dem Ellington Orchestra im Cotton Club in Harlem in New York im Jahre 1927.

Bloss die dritte Entscheidung fällt Partyka nicht so leicht. Uraufführung von Tschaikowskys 4. Symphonie? Nein, dann doch lieber die Premiere von Strawinskys «Sacre du printemps», die 1913 in Paris stattfand. Warum? «Damals gab es eine Schlägerei im Publikum. Heutzutage kommt das kaum noch vor, dass das Publikum bei einem Konzert richtig starke Emotionen zeigt - es muss ja nicht gleich in eine Schlägerei ausarten. Man geht ins Konzert und klatscht - entweder, weil es einem wirklich gefällt, oder aus Höflichkeit. Aber die Musik ist halt alles in allem auch brav geworden. Man schreckt davor zurück, etwas zu machen, was wirklich provokativ sein könnte», sinniert Partyka und ortet einen Teil des Problems im akademischen Milieu: «Da ist man so viel mit richtig und falsch beschäftigt und will ja keine Fehler machen. Dabei haben doch Grossmeister wie Gil Evans oder Bob Brookmeyer ständig “falsche Sachen” gemacht.»

Dies gilt natürlich auch für Ellington, der in Partykas privatem Pantheon einen Logenplatz einnimmt. Partyka bezeichnet Ellington als einzigartigen Meisterkomponisten, der mit seiner Bigbabnd einen unverwechselbaren Klang geschaffen habe: «Die Musiker waren über Jahrzehnte mit Ellington zusammen - mit ihrem Verschwinden ist auch der Ellington-Sound verschwunden. Wynton Marsalis ist nicht der neue Ellington.» Und da wäre es natürlich schon wahnsinnig spannend, Ellington beim Kreieren dieses Sounds im Cotton Club sozusagen über die Schulter schauen zu können. Zur Bedeutung des Newport-Konzerts für Ellingtons Karriere führt Partyka aus: «Das war der Beginn eines legendären Wiederaufstiegs. Danach kamen grosse Erfolge wie «Such Sweet Thunder», die «Far East Suite» oder die Musik zum Film «Anatomy of a Murder». Die Jahre zwischen 1955 und 1964 waren in kompositorischer Hinsicht die wichtigste Zeit von Ellington und Billy Strayhorn.» Partyka ist sich bewusst, dass es da durchaus auch andere Positionen gibt, aber wenn es um eigene Präferenzen und Meinungen geht, neigt er nunmal ganz und gar nicht zu Wankelmut. Und so sei ihm eine letzte Frage zum unerschöpflichen Thema Ellington gestellt: Soll man seine Kompositionen noch spielen, obwohl sich der Ellington-Sound nicht kopieren lässt? «Seine Stücke sind schlicht zu wertvoll, um nicht gespielt zu werden. Aber es wäre natürlich sehr hilfreich, wenn der Baritonsaxofonist schon mal was von Harry Carney gehört hat. Es wird sich auch im Jazz eine historische Aufführungspraxis herausbilden, es gibt ja schon jetzt zahlreiche Repertory-Bands. Ich selbst habe auch schon bei Aufführungen der Musik von Ellington oder Gil Evans mitgemacht - da kann man einfach irrsinnig viel lernen.»

Ed Partyka kam 1967 in Chicago auf die Welt und wurde schon früh vom Bigband-Virus infiziert: «Ich habe bereits mit zehn, elf Posaune gespielt und bin in Bigbands gelandet und habe die Musik sofort geliebt. Ich war ein riesiger Fan von Glenn Miller und habe meinen Vater so lange genervt, bis er mich an ein Konzert mit dem Glenn Miller Orchestra mitnahm. Wir sassen in der letzten Reihe und vor uns gabs nur lauter graue Haare. Die Liebe zur Bigband-Musik hat mich nicht mehr losgelassen und mit dem Anfang des Studiums wurde es dann ernst.» Während des Studiums spielte ein Freund Partyka das Album «Bob Brookmeyer, Composer, Arranger» vor, das 1980 vom Schlagzeuger Mel Lewis und seinem Jazz Orchestra im Village Vanguard in New York aufgenommen wurde und das Partyka nach wie vor als sein Lieblingsalbum bezeichnet: «Das wars! Ich war sofort verliebt. Ab diesem Zeitpunkt wollte ich selber auch komponieren.» Anhand des ersten Stück dieses Albums, «Ding Dong Ding», demonstriert Partyka ein typisches Merkmal von Brookmeyers Musik, nämlich die Koexistenz von Einfachheit und Komplexität. Via Los Angeles («dort redeten alle ständig nur von Business und das habe ich gehasst») landete Partyka schliesslich 1990 in Köln: «Ein bisschen Europa und Kultur können nicht schaden, dachte ich mir. Eigentlich wollte ich zwei Jahre in Europa bleiben, aber jetzt bin ich halt immer noch hier.»

In Köln kam es dann endlich auch zur persönlichen Begegnung mit Brookmeyer: Er wohnte damals auch in Europa und hatte mit der deutschen Urheberrechtsorganisation GEMA einen Workshop für Jazzkomposition entwickelt, der in Köln stattfand. Partyka gehörte zu den zehn glücklichen Teilnehmern dieses Workshops, der sich über zwei Jahre erstreckte. Es ist sicherlich nicht falsch, diesen Workshop als äusserst fruchtbare Keimzelle für einen bis zum heutigen Tage fortdauernden Wachstumsprozess zu bezeichnen, der u.a. zu Partykas Mitwirken in Brookmeyers New Art Orchestra führte und dem wir auch das aussergewöhnliche Album «Madly Loving You»* verdanken, auf dem der Ventilposaunist Brookmeyer mit dem Ed Partyka Jazz Orchestra Stücke spielt, die von Partyka, Maria Schneider, Bill Holman, Manny Albam, John Hollenbeck, Jim McNeely, Frank Reinshagen und Marko Lackner speziell für seinen 70. Geburtstag komponiert bzw. arrangiert wurden.

Partyka macht keinen Hehl daraus, dass er Übungen von Brookmeyer für seine eigene Unterrichtstätigkeit übernommen hat. «Das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist, wie man aus den üblichen Jazzformen herauskommt. Etwa indem man längere Phrasen oder Melodien ohne Taktstriche schreibt oder nur mit bestimmten Tönen arbeitet. Die Übernahme von Kompositionsprinzipien aus der E-Musik gehört auch zu diesem Gebiet, zum Beispiel 12-Ton-Kompositionen. Wir versuchen also, uns von unserer Geschichte zu befreien. Gleichzeitig muss diese Geschichte aber auch geachtet werden. So entsteht eine Spannung zwischen neuartigen und organischen Formen», führt Partyka aus. Das Festhalten an rigiden Kompositionssystemen ist allerdings nicht seine Sache: «Die Musik darf nicht erzwungen klingen. Man muss bereit sein, das System wenn nötig über den Haufen zu werfen.» Und für ihn ist klar: «Der Weg zur künstlerischen Freiheit führt über die Auseinandersetzung mit der Tradition. Wer nichts von der Vergangenheit lernt, ist dazu verdammt, diese zu wiederholen. Die Tradition darf allerdings nicht zum Gefängnis werden.» Wir haben es also mit einer heiklen Gratwanderung zu tun. So vermisst Partyka beim heutigen Bigband-Jazz den Mut zu speziellen Instrumentierungen (er selbst weicht mit seiner aktuellen Band vom konventionellen Bigband-Format ab). Der Kategorie Klang werde ganz generell zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt - dabei sei doch der Sound das erste, was man von einem Musiker wahrnehme. Man dürfe allerdings nicht vergessen, dass das ästhetische Empfinden auch vom Alter abhänge: «Als ich 19 war, konnte ich keinen Rotwein trinken. Heute frage ich mich: Wie können die Jungen bloss Zeugs wie Cola oder Red Bull trinken? Als ich jung war, mochte ich Ellington noch nicht, dafür Count Basie und Stan Kenton.»

Apropos Alter: Partyka möchte noch ein bisschen warten, bevor er die Frage, ob er einen eigenen Stil entwickelt habe, beantwortet. Tatsächlich legt sein facettenreiches Œuvre, zu dem auch eine ganze Reihe ungewöhnlicher Song-Bearbeitungen (u.a. von Tom Waits und Georg Kreisler) gehört, die Vermutung nahe, dass seine Neugierde und Vielseitigkeit einfach zu ausgeprägt sind, um sich auf einen Stil festlegen zu können. Und warum sollte er das überhaupt wollen, sagt er doch: «Ich liebe es, von Musik überrascht zu werden.» Leider seien veritable Überraschungsmomente selten, beklagt Partyka - er selbst sei zuletzt von der Musik des Norwegers Geir Lysne überrascht worden.

www.edpartyka.com
Bob Brookmeyer with the Ed Partyka Orchestra: Madly Loving You

Tom Gsteiger


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