Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Music Talks X - Herbie Kopf
Autodidakt mit Köpfchen


Im Rahmen eines Seminars mit dem Titel «Jazz in der Schweiz: Gefängnis oder Paradies» standen drei Dozenten der Jazzabteilung der Hochschule Luzern - Musik Red und Antwort. Der Zürcher Elektro-Bassist, Komponist und Bandleader Herbie Kopf nimmt unter den drei Gesprächspartnern insofern eine Sonderstellung ein, als er mit Live Life ein eigenes Label betreibt.


Herbie Kopf

Music Talks
Mit der Gesprächsserie “Music Talks” lädt die Jazzabteilung der Hochschule Luzern ein zu facettenreichen Begegnungen mit profilierten Persönlichkeiten des Gegenwartsjazz. Die Gespräche drehen sich nicht nur um den Werdegang und das künstlerische Schaffen dieser Persönlichkeiten: Anhand von Tonbeispielen sollen auch persönliche musikalische Vorlieben diskutiert werden. Die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Jazz soll ebenfalls aufs Tapet gebracht werden. Die Gespräche werden geführt von Tom Gsteiger, Journalist und Dozent für Jazzgeschichte.

In Zusammenarbeit mit:
Musik-Forum Luzern

Mit Jahrgang 1962 ist Herbie Kopf alt genug, um die 180-Grad-Wende bei den Produktionsbedingungen für Jazz-Alben von Schweizer Gruppen selber erlebt zu haben. Während man früher mit Bandübernahmeverträgen sogar etwas hätte verdienen können, müsse man sich heute bei den Labels einkaufen, hält Kopf fest. Es gäbe halt immer mehr Musiker, Jazz sei zu einer Art Breitensport geworden, gibt der Zürcher Elektro-Bassist zu bedenken. Kommt hinzu, dass die ganze Tonträgerbranche in einer riesigen Krise steckt. Kopf hat die Konsequenzen gezogen und 2008 mit Live Life ein eigenes Label gegründet.

Kopfs bisheriges Fazit ist nicht euphorisch: «Es läuft wie erwartet etwas harzig - man müsste viel mehr Werbung machen, aber dafür gibt es kein Budget. Der Verkauf via Webpage hat sich im Jazz noch nicht so durchgesetzt wie in anderen Musiksparten. Eigentlich geht es mir gegen den Strich, einzelne Tracks zum Runterladen anzubieten, aber ich muss da wohl umdenken.» Der Name von Kopfs Label ist Programm - veröffentlicht werden auf Live Life ausschliesslich Konzertmitschnitte; bisher ist der Katalog des Labels noch sehr schmal.

Eigenes Label: Live Life

Die Katalognummern 1 bis 3 sind für die Quartettformationen Explo 3000 («Bliss») und Close Contact («Honk!») sowie das Nonett U.F.O. («Flux») reserviert, mit denen Kopf fast zu 100 % Eigenkompositionen spielt. Die Mitmusiker des agilen Elektrobassisten sind bei Explo 3000 der furiose Sopransaxofonist Adi Pflugshaupt, der konzise Pianist Hans Feigenwinter und der impulsive Schlagzeuger Pius Baschnagel, bei Close Contact der virtuose Geiger Tobias Preisig, der vielseitige Saxofonist Reto Suhner und der geschmeidig-druckvolle Schlagzeuger Tobias Friedli: Dass diese Gruppen mitreissende Musikalität mit improvisatorischer Chuzpe verbinden, ist für aufmerksame Beobachter der helvetischen Szene längst kein Geheimnis mehr.

Die grosse Überraschung ist die CD des Nonetts. Bis dato lag von dieser ziemlich ungewöhnlich instrumentierten Mini-Big-Band (drei Holzbläser, zwei Blechbläser, Cello, Piano, E-Bass, Schlagzeug) ein durchzogenes Studioalbum vor. Vor Publikum kommt die Band viel mehr in Fahrt - und plötzlich offenbaren die originellen Konzepte ein enorm spannendes Innenleben. Kopfs Präferenz für die Live-Situation zahlt sich in diesem Fall ganz besonders deutlich aus.

Die Nummer 4 im Live-Life-Katalog des Labels stammt von Michael Gassmann («Fearless Five»). Dieser mal melancholische, mal euphorische Trompeten-Melodiker trat im Februar 2008 mit einem sehr flexiblen Quintett im Zürcher Jazzclub Moods auf. Der Konzertmitschnitt ist ein Musterbeispiel für spontane und unverkrampfte Interaktion, die zwischen verträumter Klangmaleri und intensiven Grooves oszilliert. Dass der fantasievolle Pianist Gregor Müller sozusagen in letzter Sekunde für einen erkrankten Kollegen einsprang, sorgte nicht nur für erhöhte Aufmerksamkeit, sondern auch für den einen oder anderen unerwarteten Adrenalinschub.

Schliesslich gibt es da noch die Doppel-CD «Up & Down», für die Kopf sein riesiges Privat-Archiv durchforstet hat (bereits vor der Minidisc-Ära hat Kopf die meisten seiner Auftritte mitgeschnitten). Das Resultat: Ein äusserst kurzweiliges Musik-Puzzle mit 23 Live-Tracks aus den Jahren 1984 bis 2008 - die Zahl der beteiligten Musiker liegt bei über 60, darunter nicht nur solche aus der Schweiz, sondern auch aus den USA, aus Brasilien und Osteuropa. Zu den Highlights gehören verspielte Trio-Aufnahmen mit den Pianisten George Gruntz und Vladislav Sendecki, «Six Flights Up» mit der Lop-Sided Band (u.a. mit Jack Walrath und Mark Turner) sowie «Emergency Call» mit einem entfesselten Reto Suhner am Altsax. Auf «Up & Down» ist auch die erste, folgenreiche Begegnung von Kopf mit dem Pianisten Feigenwinter festgehalten - sie fand im Sommer 1986 im alten Bazillus in Zürich statt und wurde vom Gitarristen Harald Haerter eingefädelt.

Der Scofield-Quantensprung

Mit Haerter teilt Kopf die Begeisterung für den Gitarristen John Scofield. Kopf erinnert sich: «Im Radio hörte ich eine Vorschau aufs Jazzfestival Zürich und da haben sie auch Scofield gespielt. So etwas hatte ich zuvor noch nie gehört, das war ein ganz neuer GItarrensound im Jazz. Ich bin dann grad in einen Plattenladen gerannt und hab mir eine Scofield-Scheibe gekauft, die dann von Haerter sozusagen beschlagnahmt wurde. Wir haben die Stücke rausgeschrieben und nachgespielt - und wir sind auch zu Konzerten von Scofields Trio mit Steve Swallow und Adam Nussbaum nach Deutschland gereist.» Als Kopf dann 1982 zum ersten Mal nach New York reiste, nahm er Kontakt zu Scofield auf und bat ihn um Privatunterricht. Die erste Lektion musste allerdings verschoben werden, weil Scofield gerade seine erste Probe mit Miles Davis hatte. Kopf wollte von Scofield mehr über dessen Konzept erfahren, nicht zuletzt über dessen Art zwischen Inside- und Outside-Spiel zu changieren. «There’s no concept, I just play by ear», soll Scofield gemäss Kopf geantwortet haben.

Kein Grabenkämpfer

In New York erlebte Kopf weniger Grabenkämpfe als in der Schweiz, wo er, der sich ab seinem 16. Lebensjahr das Elektro-Bass-Spiel autodidaktisch beigebracht hatte, zuerst sowohl mit Leuten, die mehr auf Fusion und Funk, als auch mit solchen, die mehr auf Free standen, spielte, aber irgendwann merken musste, dass diese Zweigleisigkeit nicht goutiert wurde in gewissen Kreisen. Zum Glück habe sich die Lage inzwischen entspannt, meint Kopf. Als E-Bassist hätte Kopf gar kein Berufsstudium machen können: «Damals hatte nur die Swiss Jazz School in Bern eine Berufsabteilung und dort war E-Bass ein Schimpfwort.» Kopf entschied sich allerdings ganz bewusst für den E-Bass: in erster Linie, weil ihm der Sound gefiel. Es ist ihm klar, dass es immer Puristen geben wird, die nicht bereit sind, den E-Bass als vollwertiges Jazzinstrument zu akzeptieren - und er erzählt die Anekdote, wonach Steve Swallow in den Bands von Monk, Jarrett und Betty Carter hätte einsteigen könnte, wenn er nicht vom Kontra- auf den Elektro-Bass gewechselt hätte.

Bei ihm seien die ersten Schritte auf dem Instrument Hand in Hand mit ersten Kompositionsversuchen verlaufen, erinnert sich Kopf und fügt hinzu: «Ich wollte natürlich meine Kompositionen auch ausprobieren und darum musste ich in die Rolle des Bandleaders schlüpfen und Gigs organisieren.» Mitte der 80er-Jahre leitete er ein Quartett, zu dem der Saxofonist Daniel Schnyder gehörte, von dem Kopf sagt: «Er war bereits damals ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Er half mir auf die Sprünge, indem er mit mir meine Stücke auseinander nahm.» Nach diesem Quartett kam das Oktett Headphones, mit dem es in Richtung Funk und Fusion ging. Als nächstes begann sich Kopf für lateinamerikanische Musik zu begeistern, insbesondere solche aus Kuba und Brasilien - dabei wurde er auch von persönlichen Begegnungen mit Musikern aus diesem Kulturkreis inspiriert. So entstand mit dem Quintett Hip-Noses die bisher langlebigste Gruppe in Kopfs Karriere - sie hatte ganze anderthalb Jahrzehnte lang Bestand! Wichtige Weggefährten in dieser Zeit waren u.a. der Altsaxofonist Nat Su und der bereits mehrfach erwähnte Pianist Hans Feigenwinter.

Kein Copycat

Geht es um den Umgang mit Vorbildern, lautet Kopfs Credo: «Es bringt nichts, diese Vorbilder kopieren zu wollen. Natürlich kommt man als Elektro-Bassist, der fretless spielt, nicht um Jaco Patorius herum - er hat das Bass-Spiel nachhaltig revolutioniert. Je näher man aber an ein Vorbild herankommt, desto mehr merkt man, dass man nie ganz daran herankommen wird.» Für Kopf ist dies kein Dilemma, vielmehr sieht er die Lösung darin, aus verschiedenen Einflüssen etwas Eigenes zu machen. Kopfs eigene musikalische Vorlieben sind nur schwer einzugrenzen - die virtuose Multi-Stilistik des brasilianischen Urwald-Futuristen Hermeto Pascoal gehört ebenso dazu wie die vielschichtige Harmonik des West-Coast-Meister-Arrangeurs Clare Fischer und dass die Liebe zum kanonisierten Modern Jazz noch längst nicht abgekühlt ist, beweist er mit einem Track von Wayne Shorters Blue-Note-Album «JuJu» aus dem Jahre 1964, bei dem er v.a. das furiose Schlagzeugspiel von Elvin Jones hervorhebt: «Das ist immer noch total hip, das kann man eigentlich gar nicht toppen.»

www.herbiekopf.com/

Tom Gsteiger


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