Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

“What has been reached and what needs to be done in jazz education?“


1st IASJ Jazz Education Conference 2003
Koninklijk Conservatorium Den Haag, 30. Oktober – 2. November 2003


Stadt der Kontraste
Das Koninklijk Conservatorium Den Haag
Dave Liebman & Walter Turkenburg

Jamey Aebersold erzählt...

Jamey Aebersold zeigt uns, wie's geht

Wir waren nicht die einzigen Schweizer...


Die International Association of Schools of Jazz (IASJ) ist eine Interessensgemeinschaft von Jazzschulen auf allen Stufen mit Sitz am Royal Conservatory“ Den Haag, Holland. Das Ziel der IASJ ist die Förderung der Kommunikation zwischen Jazzschulen, Dozierenden und Studierenden aus verschiedensten Ländern. Die Hauptaktivität der IASJ ist die Veranstaltung von jährlichen Meetings, an denen gemeinsam Musik gemacht wird. Ausserdem veröffentlicht die IASJ regelmässig einen Newsletter und unterhält eine Mailingliste im Internet, in welchen aktuelle Themen diskutiert und der gegenseitige Austausch gepflegt werden. Künstlerischer Direktor und Gründer ist Dave Liebman, einer der gewichtigsten Jazzmusiker und Pädagogen im Jazz. Weitere Vorstandsmitglieder sind: Walter Turkenburg (Royal Conservatory, Den Haag), Karl Heinz Miklin (Kunstuniversität Graz), Gary Keller (University of Miami), Bernhard Hofmann (Jazz- und Rockschule Freiburg), Dimos Dimitriadis (Ionian University Korfu). Mehr Infos unter www.iasj.com

Vom Donnerstag, 30 Oktober bis Sonntag, 2. November 2003 trafen sich rund 70 Leiter/innen und Dozierende von vorwiegend europäischen Konservatorien, Musikhochschulen und anderen berufsbildenden Jazzschulen in Den Haag. Luzern war mit Rainer Tempel, John Voirol sowie Hämi Hämmerli vertreten.

Das vierzehnte Jahrestreffen der International Association of Schools of Jazz (IASJ) hatte erstmals fast reinen Konferenzcharakter, da kurzfristig auf die sonst im Zentrum stehenden Workshops mit Studierenden der verschiedenen Jazzschulen verzichtet werden musste.

Bestätigte Vorurteile

Hauptredner des ersten Tages war der Verleger und Jazzpädagoge Jamey Aebersold, dessen Vater Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Berner Oberland in die USA emigriert ist. Aebersold schilderte uns, wie es aus mehr oder weniger zufälligen Gründen zur Veröffentlichung der ersten Ausgabe seiner inzwischen über 100 Bände umfassenden Play-Along-Reihe kam, welche auch hierzulande ein beliebtes Lehr- und Hilfsmittel ist.

Bis 1930 existierte keine formale Jazz-Erziehung in den USA. Pioniere der Jazzpädagogik waren Lennie Tristano, David Baker oder George Russell. Interessante Backgrounds aus den Pioniertagen der Jazzpädagogik von einem Mann der ersten Stunde machten seinen Vortrag zu einem kurzweiligen Rückblick, erwähnt sei z.B. die Verärgerung Sonny Rollins‘ über die Tatsache, dass Gunther Schuller die Frechheit besaß, eines seiner Solos zu transkribieren und zu veröffentlichen. Aebersold berichtete also von einer Zeit, in der es noch hiess: Finde es selbst heraus“, in der sich die großen Solisten nur ungern in die Karten schauen ließen.

Sehr umstritten unter den Konferenzteilnehmern war dann Jamey Aebersolds Unterrichtsdemonstration. Mit einer jugendlichen Begabtenklasse des Haager Konservatoriums, welche noch nie improvisiert hatten, demonstrierte er seine Lehrmethode, die im wesentlichen daraus besteht, eine Tonleiter auf und ab zu spielen und dann mit dem Improvisieren zu beginnen. Es war erschreckend mitanzusehen, wie hart und rücksichtslos er diesen jungen Talenten seine Methode aufzuzwingen versuchte. Seine Demonstration ignorierte sowohl wesentliche musikalische Elemente der Improvisation als auch der pädagogischen Vermittlung und hinterliess den schalen Eindruck einer Verkaufsveranstaltung. Auf kritische Fragen ging er in der anschliessenden Diskussion kaum ein. Immerhin wies er immer wieder darauf hin, dass das Anhören stilbildender Aufnahmen, das Analysieren von improvisierten Solos zur wichtigsten Aufgabe der Studierenden gehört, dass das Erlernen des Jazz mit seinen Phrasierungs- und Artikulationsnuancen, Timbres und Ausdrucksweisen zum grössten Teil übers Hören erfolgen muss.

Unter den jüngeren Lehrern an der Konferenz war wohl keiner, der nicht schon mit Play-Alongs gearbeitet hat, gleichwohl war man sich einig, dass man mit ihnen nur einen Ausschnitt des Jazz-Spielens beleuchten kann. Es stellte sich die grundsätzliche Frage, ob der Jazz inzwischen zu einer Musikform geworden ist, welche durch die Anhäufung von rein handwerklichem, musikgeschichtlichem und -theoretischem Wissen und Können erlernbar ist, oder ob Jazz grundsätzlich nicht immer noch eine von Neugier und Mut zum Risiko geprägte Lebenshaltung ist.

Peter Guidi, Leiter der Begabtenabteilung des Haager Konservatoriums, gab danach eine weitere Ensemble-Unterrichtsdemonstration, welche aber auch nicht restlos überzeugen konnte. Sowohl bei Aebersold wie auch bei Guidi vermissten wir die Suche nach neuen Ansätzen für eine auf den Jazz zugeschnittenen Methodik und Didaktik.

Wissenschaftliche Jazzforschung – ein Ding der Unmöglichkeit?

Ein andere Art, den Jazz zu verstehen, zeigten die Forscher James Collier und sein Sohn Geoffrey Collier (USA) auf. Die beiden haben mit Hilfe eines Computerprogramms herausgefunden, dass die Dauer des ersten und zweiten Achtels in der ternären Jazzphrasierung im Verhältnis 60% zu 40 % zueinander stehen. Henkian Honing (Universität Amsterdam) zeigte mittels aufwendigen Präsentationen auf, dass sich die Phrasierung von ternären Jazz-Achteln bei Elvin Jones, Tony Williams und Jack DeJohnette in schnelleren Tempi dem Verhältnis 50/50 annähere.
Ausserdem stellten die beiden Amerikaner fest, dass das Anfangs- und Schlusstempo nur in ca. 5% der ca. 120 untersuchten Aufnahmen voneinander abweicht, das Tempo aber innerhalb des Stückes meist schwanke. So soll die Ellington Band beim Begleiten von Johnny Hodges Solos das Tempo verschnellert, bei Solos des Klarinettisten Barney Bigard verlangsamt haben. Ein ähnliches Phänomen beobachteten die beiden beim Double- oder Half-Time-Spielen. Das Tempo dort sei nicht genau doppelt bzw. halb so schnell. Die Abweichung liege im Bereich von 5%.
Anhand von Aufnahmen von Louis Armstrong wurde das Phänomen des Vor-/Auf-/Hinter-dem-Beat-Spielen“ untersucht. Armstrong soll danach seine Noten weder vor noch hinter dem Beat platziert haben, sondern genau darauf, d.h. im Bereich von 20/1000 Sekunden (= eine 64tel Note). Diese Präsentationen lösten bei den Konferenzteilnehmer/innen, meist selber aktive Musiker/innen, eher Kopfschütteln aus: Wussten wir das nicht alles schon längstens?“. Die Rückfrage an die Referenten, ob diese Forschungsergebnisse Relevanz für den Unterricht an Jazzschulen hätten, wurde immerhin ehrlicherweise verneint.
Obwohl angekündigt, konnte uns auch Heinz Czadek von Kunstuniversität Graz (wo ein Institut für Jazzforschung angesiedelt ist) kaum Ansätze zur Überwindung des Grabens zwischen rein wissenschaftlicher und angewandter, praxis-orientierter Forschung im Bereich Jazz aufzeigen. Wir erhielten lediglich einen Überblick über Geschichte, aktuelle Situation und Institute der Forschung im Bereich Jazz.

What needs to be done in jazz education?

Nico Smit, holländischer Musik-Pädagoge und Beauftragter für Schulentwicklung an der Gastschule, bedauert dass an den meisten Schulen zu viel Technik, Tonleitern, Geschicklichkeit gelehrt wird und die Philosophie, das Reflektieren über Kunst und die Selbst-Findung im Ausdruck vernachlässigt wird. Den Haag und London haben deshalb ein gemeinsames Forschungsprojekt Improvisation lanciert, welches Kreativität und persönliche Entwicklung, das Fördern des individuellen Improvisations-Designs und das Verbinden von Intuition und Tradition zum Schwerpunkt hat. Smit warf folgende interessante Fragen auf: Warum wird klassische Musik wie vor 200 Jahren unterrichtet? Braucht Jazz eine andere Erziehungsform als die klassische Musik? Wie definiert sich die musikalische Expression heute? Werden soziale und politische Fragen in der Musikerziehung genügend thematisiert ?

Nigel Scaife (Associated Board, Royal Schools Of Music, UK) stellte uns ein interessantes Lehrprogramm für Jazz auf der Vorbereitungsstufe vor. Ein ähnliches Programm für klassische Musik existiert schon seit längerem, nun wird ein Syllabus für Jazz entwickelt, welcher im Moment für Klarinette, Alt- und Tenor-Saxophon, Trompete, Posaune, Piano und Ensemble vorliegt. Das Programm baut auf acht aufeinander aufbauenden Prüfungen auf, welche von akkreditierten Examinatoren des Associated Board weltweit abgenommen werden. Die Art und Weise der Vorbereitung auf diese Stufenprüfungen liegt in der Hand der Lehrperson, sei sie in Luzern oder in Hong Kong, unterrichte sie privat oder an einer Schule. Mit Bestehen der letzten Prüfung soll die Hochschulreife erreicht werden. Begleitend werden verschiedene Publikationen wie Real-Books und Play-Along-CDs angeboten.

Joe Anderies (USA) betreut grosse Jazz-Ensembles besetzt mit 10-15-jährigen Schüler/innen. Darin wird jede Instrumentengruppe durch einen Profi-Musiker betreut, welcher im Dialog mit den Schüler/innen improvisiert. Ein gezeigtes Video gab einen bemerkenswerten Eindruck intensiver, konzentrierter und kreativer Arbeit mit jungen Instrumentalisten.

Björn Alterhaug und John Pal Inderberg (Universität Trondheim, Norwegen) legen an der Jazzabteilung ihrer Schule viel Wert auf die kreative Kommunikation in der Improvisation. Durch intensives Imitieren und Ausloten einzelner stilbildender Jazz-Interpreten und -aufnahmen der 20er bis 70er Jahre soll die Voraussetzung geschaffen werden, dass sich die Studierenden individuell von Idiomen und Traditionen befreien und eine eigene Sprache finden können. Interessant dabei ist, dass der Theorieunterricht nicht in einzelne Fächer aufgeteilt ist, sondern im Klassenverband gleichzeitig Harmonielehre, Ear Training, Rhythmik etc. anhand von Aufnahmen aus der Jazzgeschichte betrieben wird. Das (Zusammen-)Spielen wird oft in Form vom Konzerten und Tourneen mit eingeladenen Gastdozierenden trainiert.

Referentenmarathon

In der Eröffnungsrede wies Frans Ruiter, den Direktor des Royal Conservatory Den Haag, darauf hin, dass die musikalische Erziehung nur Teil einer ganzheitlichen künstlerischen Erziehung eines Menschen sein sollte und die Beschäftigung mit anderen Künsten wie Architektur, Literatur und Malerei das Bewusstsein erweitere. Kreative Prozesse anderer Kunstrichtungen sollten auch in die Musik-Erziehung fliessen können. Karlheinz Miklin von der Kunstuniversität Graz gab uns einen Rückblick auf die Entwicklung der institutionalisierten Jazzausbildung in Europa, wo anfangs der Siebzigerjahre in Graz das erste Jazzprogramm aufgelegt wurde, welches bald von Bern, Budapest und Köln gefolgt wurde. Recht aufschlussreich war sein Überblick über die aktuelle Situation der Jazzausbildung rund um den Globus, welche u.a. zeigte, dass der in Mittel- und Nordeuropa in den letzten 25-30 Jahren erkämpfte Status insbesondere in Südeuropa noch nicht erreicht ist. Martin Prchal von der Association Européenne des Conservatoires AEC sprach zum Thema Bologna-Prozess“, mit der bessere Transparenz, Vergleichbarkeit und Mobilität innerhalb der verschiedenen europäischen Bildungssysteme erreicht werden soll.

Sicher war die Konferenz mit 8 Referaten pro Tag viel zu dicht programmiert, sodass zu wenig Zeit übrig blieb, um mit den Referenten zu diskutieren, trotzdem erlebten wir drei inspirierende Tage in Den Haag, in welchen genügend Zeit war, neue Kontakte zu knüpfen und alte aufzufrischen.

Das nächste Treffen der IASJ findet anfangs Juni 2004 statt. Gastgebende Schule wird dann die Jazz- und Rockschule, Freiburg (D) sein. Unter der künstlerischen Leitung von George Gruntz, welcher Dave Liebman vertritt, werden dort die Studierenden, um die bei den IASJ-Meetings es eigentlich geht, wieder beteiligt sein.

Rainer Tempel (Leiter der Big Band und Dozent für Komposition und Arrangement)
John Voirol (Dozent für Saxophon und Ensemble)
Hämi Hämmerli (künstlerischer Leiter)


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