Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Eine Woche lang Hauptstadt des Jazz

Das Meeting der International Association of Schools of Jazz IASJ in Luzern hat in der ersten Juli-Woche 2009 für viel gute Musik, interessante Gespräche und Begegnungen gesorgt. Die Jazzabteilung der Hochschule Luzern - Musik hat sich mit der reibungslosen Durchführung des Anlasses profiliert und gezeigt, was Jazz bei aller lokalen Ausbildung auch noch ist: Eine internationale Sprache, die Menschen über Grenzen hinweg verbindet und motiviert.

KKL Jam Session
KKL Jam Session


Stimmen:

His Master´s Voice
Ein spezieller Genuss war die abschliessende lecture“ von Spiritus Rector David Liebman. In seinen gut 50-minütigen Ausführungen, die wie eine lange Improvisation wirkten, gab Liebmann den IASJ-Teilnehmenden aus seiner Erfahrung ein paar pointierte Erkenntnisse mit auf den Weg.

Inspirierend
Kurz-Statements von zwei Teilnehmern

Total zufrieden
Kurzinterview mit Hämi Hämmerli, Leiter Jazzabteilung Musikhochschule Luzern

Halb zehn Uhr Vormittags. Vor der Jazzkantine sind Dutzende von jungen Musikern versammelt, die meisten haben ihre Instrumente dabei. Es wird lebhaft geredet, Hauptsprache ist Englisch, aber man hört auch französisch, spanisch, portugiesisch und andere Sprachen. Kurz vor zehn Uhr werden die letzten Zigaretten ausgedrückt. Die Leute verschwinden in den Keller zum allmorgendlichen Group Meeting. Dave Liebman und Walter Turkenburg geben eine kurze Zusammenfassung dessen, was am Vortag gelaufen ist und orientieren über das Programm des laufenden Tages.

Masterclasses

Eine halbe Stunde später wird bereits in diversen Combos geprobt. Andere bilden sich in einer Masterclass weiter. Auch wenn draussen der Sommer lockt und überall Menschen mit Sonnenbrillen in den Strassencafes sitzen und das Nichts-Tun zu geniessen scheinen: In den Räumen der Jazzschule wird wacker gearbeitet. Im Dachzimmer der Jazzschule treffen sich über ein Dutzend Gitarristen. Die Musiker diskutieren die verschiedenen Möglichkeiten, den Akkord E13 sharp eleven“ zu greifen. Dann probieren sie minutenlang aus, in welcher Position der Akkord Dm7 flat five“ für eine bestimmte Spielart am besten klingt. Die Atmosphäre ist locker, alle scheinen motiviert und ab und zu wird ein Yeah, great“ oder Wow, that's a nice way to do it“ in die Runde geworfen.

Die Masterclasses werden pro Instrument angeboten und von einem erfahrenen Teacher geleitet. Da sitzen nicht nur Gitarristen, Posaunisten, Saxophonisten, Pianisten oder Schlagzeuger je für sich zusammen, sondern sind immer auch ganz verschiedene Typen mit ihren Hintergründen und Eigenheiten vereint. Der Brasilianer sitzt neben der Engländerin, der Deutsche neben dem Estländer, der Amerikaner neben dem Franzosen. Das macht die Auseinandersetzungen spannend und fördert das Lernen. Es ist genau das, was der künstlerische Leiter Dave Liebman mit dem IASJ-Meeting erreichen will: We try to take advantage of the fact that we are so international and therefore have differing customs and traditions to deal with“, hielt er im Vorfeld in einem Brief an die Teilnehmenden fest.

1989 hatte David Liebman die International Association of Schools of Jazz IASJ IASJ gegründet. Sein Ziel: Die Jazzschulen weltweit besser miteinander zu vernetzen und ausgewählte und besonders talentierte Studierenden und Dozenten mit Masterclasses und Jam-Sessions einander näher zu bringen. Nach jährlichen Meetings in Metropolen wie Dublin, New York, Tel Aviv, Paris, Boston oder Helsinki fand die 19. Ausgabe des IASJ-Bestehens dieses Jahr in Luzern statt: 50 Studierende sowie über 30 Dozenten und Studienleiter aus gut 20 Ländern brachten jazzmässig einen Hauch Internationalität nach Luzern. Das musikalische Rahmenprogramm und die bunt zusammen gewürfelten Nationalitäten der Beteiligten vermittelten das Flair einer weltoffenen Jazzstadt. Der Stadt hat's gut getan.

Sessions am See

Täglich fanden Jam-Sessions und Konzerte statt. Austragungsorte waren die Jazzkantine, die Seebar und die Terrasse im KKL Luzern sowie die Bar im Hotel Schweizerhof. Das fantastische Wetter während der ganzen Woche mit sommerlichen Temperaturen machte das Meeting nahezu perfekt. Die auswärtigen Studierenden erlebten in Luzern eine Open-Air-Jazz-Kulisse, wie es sie selten gibt. Höhepunkt dieses Settings war die Jam Session am Mittwoch auf der mondänen Terrasse des KKL Luzern mit ihrer Panorama-Aussicht. Die Abendsonne strahlte, Schiffe zogen über den See, am Horizont die Berge: Es war ein Ambiente der Weltklasse.

An den restlichen Abenden trafen sich die Studierenden in der Seebar im KKL Luzern. Die Glasfront der Bar war gegen den See hin geöffnet, die Sessions wurden zu einem Open-Air-Anlass, der nicht nur Mitstudierende und Jazzfans interessierte, sondern auch zufällig vorbei spazierende Passanten zum Verweilen motivierte. Nicht selten waren es 100 bis 150 Leute, die zuhörten, vielleicht ein Bier tranken und sich wunderten, dass Jazz in dieser Stadt plötzlich so selbstbewusst und locker präsent war. Und schon begann man sich zu fragen, warum das nicht immer so sein könnte.

Schlag auf Schlag formierten sich in wechselnden Konstellationen die ad-hoc-Bands. Das gab Abwechslung, optisch und musikalisch. Man begann zu merken, warum ein Pianist mitreissender spielte als ein anderer, wie ein Gitarrist alles wagte und viel gewann, warum ein Bassist es schaffte, seine Mitmusiker anzukicken oder warum ein Trompeter sich noch so heftig durch die Solis schlingern konnte und die Musik trotzdem nicht an Substanz gewann. Jam-Sessions sind Gelegenheiten, bei denen es sich in kürzester Zeit zu beweisen gilt, manchmal auch mit Ellenbogen und ein bisschen Frechheit. Wie wäre es sonst zu erklären, dass plötzlich ein junger Gitarrist der Hochschule Luzern-Musik auf der Bühne stand, der gar nicht offiziell bei den IASJ-Teilnehmern war. Aber der Newcomer wollte dabei sein - und spielte fabelhaft.

Jazz im Gespräch

Ein IASJ-Meeting hat nicht nur das Proben und Aufführen von Musik zum Ziel, sondern ist immer auch eine Plattform für Diskussionen und Auseinandersetzungen. Mit Lectures“ und Ongoing Dialogues“ wurden dafür zwei Gefässe geschaffen. Bei den Lectures“ referierten eingeladene Gäste. So animierte ein euphorischer Amerikaner die Studierenden, sich gut zu promoten und dabei unbedingt das Internet und anderes digitales Instrumentarium zum Aufnehmen von eigenen Stücken und Produzieren von kleinen Clips einzusetzen. Als ob das ausgerechnet die versammelten jungen Musiker nicht eh schon längst kapieren und anwenden würden. Man wurde den Verdacht nicht los, dass der Referent vor allem darlegen wollte, wie er als analoger Senior auch digital noch voll dabei sei.

Es gab bessere Lectures. Inspirierend waren die ongoing dialogues“, wo sich Dozenten und Studierende mit Themen, die sie selber einbrachten, jeweils zwei Stunden am Stück auseinandersetzen konnten. Diese dialogues“ wurden intensiv genutzt. Inputs kamen auch von Luzernern. Judith Estermann stellte das in den letzten Jahren entwickelte Gender-Projekt vor, mit dem Frauen motiviert werden, sich als Musikerin zu profilieren. Urban Lienert erklärte, wie das Internet-Radio an der Hochschule Luzern - Musik funktioniert. Sofort entspann sich eine Diskussion über die Rechte der gespielten Musikstücke und wie sie abgegolten werden. Andere notierten sich die Software, mit der ein solches Projekt in Gang gesetzt werden kann, um es an ihrer Schule beliebt zu machen.

Der finnische Saxofonist und Dozent Jari Perkiömäki erzählte, wie er begonnen hat, Jazz in Unternehmen vorzustellen. Inspiriert dafür wurde er vom Nokia-CEO, der einmal sinngemäss gesagt hatte, dass ein modernes Unternehmen eher wie eine Jazzband denn wie ein klassisches Orchester funktionieren müsse, um im Markt bestehen zu können. Darüber gibt es auch schon ein paar interessante Publikationen, so etwa Jamming - The Art and Discipline of Business Creativity“ von John Kao. Perkiömäki nannte folgende Punkte, bei denen ein modernes Unternehmen von der Haltung des Jazz profitieren könne:

  • provocative competence: Jazz ist nicht Routine. Stets werden neue Formen aufgerissen und entwickelt.
  • embracing errors as a source for learning: Ein bestimmtes Ausmass an Fehlern zu zulassen ist unabdingbar, um zu lernen und kreativ weiter zu kommen.
  • minimal structure und maximal flexibility: Was heute von Unternehmen verlangt wird, können Jazzbands schon lange: Etwa über ein 32-Takt-Schema in immer neuen Möglichkeiten zu improvisieren.
  • Community of practice: Eine Band ist mehr als eine Versammlung von Leuten, von denen jede das Repertoire kennt. Ein Band lernt auch voneinander und entwickelt sich so weiter
  • Rotating leadership: Es gibt nicht nur einen Bandleader. Immer, wenn ein Musiker ein Solo macht, übernimmt er die Führung. In gewissen Momenten muss man die Dinge auch einfach geschehen lassen, als starr an etwas fest zu halten.

Ed Neumeister warf in die Runde, dass 99 Prozent aller Instrumentalisten deshalb Fehler machten, weil sie den Fokus verloren hätten. Der Fokus beginne schon beim Üben. We are not preparing for the gig, we are doing the gig now“, brachte der Posaunist den Ernstfall des Übens auf den Punkt. So wie ein Arzt oder ein Anwalt praktiziere“, müsse auch ein Musiker praktizieren: Es gibt kein weniger oder mehr, immer ist höchste Präsenz und Kompetenz gefragt.

Die englische Gitarristin Kathy Dyson stellte ihre schema theory“ des Improvisierens vor. Sie beschäftigt sich damit, was genau im Prozess des Improvisierens passiert. Dyson verglich das Improvisieren in der Musik mit einer alltäglichen Fertigkeit wie dem Autofahren. Auch dort würden viele einzelne Handhabungen nach und nach integriert und in flow“ gebracht. Wir sind alle improvisierende Wesen“, sagte Dyson. Das Gehirn sei ständig daran, zu improvisieren. Warum scheint es manchmal so schwierig, in der Musik zu improvisieren?“, fragte die Musikerin. Warum soll Improvisation schwierig sein?“, bemerkte jemand aus der Runde. Weil wir uns das selber einreden und zu viele Regeln aufstellen.“

Teacher Jazz

Am Dienstag jammten die Teachers bei der Seebar. Da waren ausgefuchste Instrumentalisten am Werk, die den Qualitätslevel im Vergleich zu den Studi-Jams noch um ein paar Raffinessen in die Höhe trieben. In der Regel wurden Eigenkompositionen aufgeführt und zu einigen formidablen Tracks entwickelt, die nicht nur die Füsse wippen liessen, sondern auch kompositorisch und klanglich ihre Wirkung entfalteten. Neun verschiedene Teachers-Formationen traten auf.

Eröffnet wurde das Programm mit dem Gitarren- Quartett Risto Toppola (Finnland), Wim Bronnenberg (Holland), Kathy Dyson (England) und Vladimir Maslovskiy (Russland) und einer Rhythm Section mit Bassist Riccardo Del Frau (Frankreich) und Schlagzeuger Jeff Siegel (USA). In weiteren Bands wechselten sich diverse Saxophonisten, Posaunisten und Pianisten ab. Die einzigen Frauen in dieser ausgeprägten Männer-Teacher-Jam-Runde waren neben Gitarristin Kathy Dyson die Pianistin Elena Shirokova (Russland) und die Sängerin Katchie Cartwright (USA)..Neben all that jazz“ mit zahlreichen Eigenkompositionen wurden auch ein jiddischer Tango gespielt, Stücke mit geheimnisvollen Titeln wie The mystic circles of the young girls“ über die Bühne gebracht oder die Coltrane Komposition My favourite Things“ im Duo mit zwei Gitarren interpretiert.

Ein weiterer Fixpunkt im Terminkalender waren die Sessions in der Bar des Hotels Schweizerhof. Jeden Abend trafen sich Dozenten und Studierende zum Late-Night-Jamming. Auch in diesem schönen Ambiente ging einem durch den Kopf: Warum ist solches nicht mehr möglich? Wer das Glück hatte, am Mittwoch Abend dabei zu sein, erlebte Jazz mit Lust und Esprit. David Liebman persönlich stieg in den Ring der Jam-Session, begleitet von Armen Donelian (p), Riccardo Del Frau (b) und Jeff Siegel (dr) . Liebman hatte schon im ersten Teil des IASJ-Eröffnungskonzertes mit der Big Band der Hochschule Luzern (Leitung Rainer Tempel) unprätentiös seine Klasse demonstriert. In der Schweizerhof-Bar legte er ein paar furiose Solis hin, die von der Dynamik, dem Aufbau, der Präzision und der Energie her die Essenzen eines Jazz-Meisters auf den Punkt brachte. Tadellos auch der New Yorker Pianist Armen Donelian, der in rasanten Clusters die Harmonien verarbeitete und dennoch Zeit und Platz fand, den melodiösen Gehalt dieser Stücke bis in die Fingerspitzen auszuspielen. Eine Klasse für sich und beweglich in allen erdenklichen Richtungen war nicht zuletzt Ronan Guilfoyle, der später dazu stiess und mit seinem pulsierenden Groove-Spiel auf dem halbakustischen Bass Liebman in Fahrt brachte.

Final Concerts

Die eigentlichen Höhepunkte für die IASJ-Studierenden waren die Final Concerts“ am Donnerstag und am Freitag Abend in der Jazzkantine. Logisch, dass das Lokal an beiden Abenden bis auf den letzten Platz besetzt war. In den Final Concerts“ zeigten die jungen Musiker, was sie während der Woche erarbeitet hatten. Die rund 50 Studierenden aus Europa, Amerika, Südamerika und Asien waren zu Beginn der Woche möglichst bunt durcheinander gemischt und auf insgesamt sechs Combos verteilt worden. Betreut von einem oder zwei Teachers erarbeiteten sie in wenigen Tagen selbständig ein kleines Repertoire. Dieses bestand mehrheitlich aus Eigenkompositionen der Studierenden.

Es war wie ein kleines Festival: Man erlebte sechs ganz verschiedene Bands, konnte vergleichen, hörte Mittelmässiges bis Hervorragendes und war generell erstaunt, wie sich die jungen Musiker mit teilweise ganz verschiedenen kulturellen Hintergründen in so kurzer Zeit zu einem schlüssigen musikalischen Resultat zusammen raufen konnten.

Am letzten Tag reisten die jungen Musiker nach Zürich ins Radio-Studio. Dort konnten die sechs Combos mit Dave Liebman als Co-Produzent je zwei Stücke ihres IASJ-Repertoires für eine CD aufnehmen. Sie wird hoffentlich so aufregend klingen, wie es der exzellente Gesamteindruck, den dieses IASJ-Meeting hinterlassen hat, verspricht.


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