Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Jazz Talks IV - Jonathan Kreisberg
Kein Brett vor dem Kopf


Im «Jazz Talk» gab sich der 1972 geborene New Yorker Gitarrist Jonathan Kreisberg, der Mitte Oktober für eine Masterclass in Luzern weilte, als zugleich aufgeschlossener und traditionsbewusster Geist zu erkennen. Er plädierte für einen kreativen Umgang mit der zeitlosen Musik musikalischer Giganten wie Bach oder Coltrane.


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Jazz Talks
Mit der Gesprächsserie “Jazz Talks” lädt die Jazzabteilung der Hochschule Luzern ein zu facettenreichen Begegnungen mit profilierten Persönlichkeiten des Gegenwartsjazz. Die Gespräche drehen sich nicht nur um den Werdegang und das künstlerische Schaffen dieser Persönlichkeiten: Anhand von Tonbeispielen sollen auch persönliche musikalische Vorlieben diskutiert werden. Die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Jazz soll ebenfalls aufs Tapet gebracht werden. Die Gespräche werden geführt von Tom Gsteiger, Journalist und Dozent für Jazzgeschichte.

Er strebe nach einer Balance emotionaler und intellektueller Aspekte, sagt Jonathan Kreisberg: «Mein Ziel ist es, Musik zu spielen, die mich herausfordert, ohne dabei den Draht zum Publikum zu verlieren.» Als Musiker, denen es gelingt, das Publikum mit der aufrichtigen Kultivierung ihrer eigenen Stimme in Bann zu ziehen, nennt er Keith Jarrett und Pat Metheny. Zeitlose, magische Kunst hat kein Verfallsdatum. Deswegen ist für Kreisberg die Auseinandersetzung mit der Tradition unerlässlich - für ihn ist klar: «Wer einfach nur ausflippt, um irgendwelche Schwingungen zu spüren, verhält sich albern.»

Kreisberg zitiert ein amerikanisches Sprichwort, dem zufolge man weiter sehe, wenn man auf den Schultern von Giganten stehe. Ihm geht es nicht darum, das Vergangene zu wiederholen. Für ihn ist die Tradition kein Brett vor dem Kopf, sondern ein Fundament: Erst wer sicher darauf steht, kann einen eigenen, künstlerisch wertvollen Standpunkt einnehmen. Kreisberg zählt zu einer immer grösser werdenden Gruppe von New Yorkern Jazzmusikern, die sich aus den stark ideologisch gefärbten Grabenkämpfen zwischen Avantgardisten und Traditionalisten heraushält.

Einen pragmatischen Standpunkt nimmt Kreisberg auch in Bezug auf die Akademisierung des Jazz ein. Dass an Schulen «a lot of soul» zerstört werden könne, sieht er nicht als spezifisches Problem der Schulen, sondern als Ausdruck einer allgemeinen kulturellen Krise - etwas flapsig rät er: «Don't watch MTV!» Als Lehrer könne man den Studierenden die richtige Richtung aufzeigen; es gehe darum, sich seiner eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu werden. Man dürfe aber nicht vergessen: «Lehrer sind gewissermassen ewige Studenten.» Er selbst habe der Erfahrung seiner Lehrer stets Vertrauen entgegengebracht. Das habe ihn allerdings nicht daran gehindert, gewisse Dinge zu hinterfragen: «Man muss nicht alles gut finden. Aber wenn man eine klare Haltung einnimmt, sollte man diese auch begründen können.»

Eine gute Begründung hat Kreisberg für seine intensive Auseinandersetzung mit dem Standards-Repertoire parat: «Die Musiker, die ich am meisten liebe, kennen sich auf diesem Gebiet sehr gut aus. Also habe ich mir gedacht, dass es hilfreich sein dürfte, Standards zu lernen, wenn man kunstvolle, schöne Melodielinien über Akkordwechsel spielen will.» Für Kreisberg setzt sich Musik aus den Feldern Melodie, Harmonie, Rhythmus und Textur zusammen, die aktuelle Popmusik dreht sich für ihn allzu sehr um Textur und vernachlässigt den Rest - rhetorisch fragt er: «Wer groovt heutzutage so wie James Brown? Und wer schreibt so wunderbare Melodien wie Cole Porter?»

Das Komponieren ist für Kreisberg ein integraler und wichtiger Bestandteil seines Schaffens: «Ich habe früh mit dem Schreiben eigener Stücke angefangen. Für mich war das ganz natürlich. Meine Art zu komponieren, beeinflusst auch meine Improvisationen.» Achtzig Prozent eines Stücks seien jeweils sehr schnell fertig, doch am Rest würde dann umso länger herumgefeilt, hält Kreisberg fest, der seine Stücke mal an der Gitarre, mal am Klavier entwickelt: «Machmal brauche ich auch den Computer. Oder nur ein Stück Papier.»

Die an zwei Tagen im April 2007 eingespielte CD «The South of Everywhere» (Mel Bay Records) gibt einen optimlaen Überblick über das grosse Ausdrucksspektrum des versierten Gitarristen: sechs Eigenkompositionen und zwei «Great American Songs» («Stella by Starlight» und Irving Berlins «The Best Thing For You») ergeben ein faszinierendes, über weite Strecken fesselndes Programm. Man hört, dass hier keine kurzfristig zusammengetrommelte Gruppe am Werk ist: Mit dem Bassisten Matt Penman, dem Schlagzeuger Mark Ferber, dem Pianisten Gary Versace und dem Altsaxofonisten Will Vinson tritt Kreisberg regelmässig in New York auf (im Trio oder im Quintett). Als Sideman ist der Gitarrist, der seine Sporen u.a. an der Seite von Koryphäen wie dem Cool-Altisten Lee Konitz und dem Hot-Organisten Dr. Lonnie Smith abverdiente, in letzter Zeit besonders häufig mit der Gruppe Punk Bop des Schlagzeugers Ari Hoenig zu hören.

Kreisbergs Liebe zur Musik wurde durch die Plattensammlung seines Vaters geweckt, die neben Jazz auch Meisterwerke der abendländischen Tonsetzerkunst und sportiven Gitarren-Rock à la Van Halen umfasste. Das erste grosse Idol Kreisbergs war Allan Holdsworth. Ausgehend von der Fusion-Musik der 70er- und 80er-Jahre grub sich der Gitarrist dann rückwärts durch die Jazzgeschichte. Zuoberst auf die Liste seiner Top-Ten-Alben hat Kreisberg «Coltrane's Sound» von John Coltrane gesetzt. Warum ausgerechnet diese Atlantic-Aufnahme von 1960 und nicht eines der legendären Impulse-Alben aus späteren Jahren? «Die Zeit zwischen «Giant Steps» von 1959 und «Impressions» von 1961 ist meine Lieblingsphase von Coltrane. Er ist immer noch stark harmonisch orientert, lehnt sich aber bereits sehr weit aus dem Fenster.» Die weiteren Podestplätze werden von Allan Holdsworths «Sand» und «Standards in Norway» des Trios Jarrett-Peacock-DeJohnette belegt. Es folgen «Native Dancer» von Wayne Shorter und Milton Nasciemento, Wes Montgomerys «Boss Guitar», «Seven Steps to Heaven» von Miles Davis, Pat Methenys Debütalbum «Bright Size Life», Toninho Hortas «Durango Kid», «Charlie Parker with Strings» und «Time On My Hands» von John Scofield. Diese Liste reflektiert vier Stützpfeiler von Kreisbergs Musik sehr gut: melodische Grazie, harmonische Raffinesse, rhythmische Vertracktheit, technische Virtuosität.

www.jonathankreisberg.com

Tom Gsteiger


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