Hochschule Luzern - Musik, Abteilung Jazz

Jazz Talks I - Jim Black
Der weisse Herr Black hält nichts von Schwarzweissmalerei


Jim Black zählt zu den wirbligsten und kreativsten Schlagzeugern des aktuellen Jazz. Auch abseits der Bühne glänzt der Tausendsassa mit unerwarteten Steilvorlagen. Als erster Gesprächspartner in der Serie “Jazz Talks” plädierte Black für einen lustvollen, unverkrampften Umgang mit unterschiedlichen Musikformen. Dass er selbst über einen schier unersättlichen und zum Teil sehr ausgefallenen musikalischen Appetit verfügt, demonstrierte er anhand von über zwanzig Beispielen aus seinem Laptop-Archiv.



Jazz Talks
Mit der Gesprächsserie “Jazz Talks” lädt die Jazzabteilung der Hochschule Luzern ein zu facettenreichen Begegnungen mit profilierten Persönlichkeiten des Gegenwartsjazz. Die Gespräche drehen sich nicht nur um den Werdegang und das künstlerische Schaffen dieser Persönlichkeiten: Anhand von Tonbeispielen sollen auch persönliche musikalische Vorlieben diskutiert werden. Die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Jazz soll ebenfalls aufs Tapet gebracht werden. Die Gespräche werden geführt von Tom Gsteiger, Journalist und Dozent für Jazzgeschichte.

Für Jim Black gibt es kein Entweder-Oder. Er brauche die Logik und das Mysterium, sagt der 1967 geborene Schlagzeuger. In den Bands, in denen der kleine Wirbelwind mit bübischem Grinsen die Trommeln rührt, ist zumeist der Teufel los - gemütlicher Schaukelstuhl-Swing ist nicht die Sache Blacks.

Ungerade Balkan-Beats, krachende Rock-Grooves, ultraschnelle Postbop-Rasanz, befreites Pulsieren, atmosphärische Klangmalerei ... Black hat alles drauf und gibt allem einen eigenen Dreh. Sei es als Sideman in Bands wie dem Tiny Bell Trio des Trompeters Dave Douglas, dem Quartett Bloodcount des Saxofonisten Tim Berne, Carlos Bica's Azul (mit Frank Möbus), dem Ellery Eskelin Trio oder der Two-Tenor-Band von Eskelin und David Liebman; sei es als Mitglied in den kooperativen Bands Pachora und Human Feel; sei es als Leader von Alas No Axis. Diese Aufzählung ist natürlich unvollständig: Es ist nicht leicht, dem tifigen Black auf den Fersen zu bleiben.

Dass das Wort Jazz bei Black, der von Seattle via Boston (Studium in Berklee) nach New York gelangte, ein gewisses Unbehagen auslöst, hängt auch mit dessen Politisierung durch Marsalis & Co. zusammen: «Ich weiss nicht genau, was dieses Wort bedeutet und irgendwie ist mir das auch egal. Wenn man das Wort Jazz wirklich am Leben erhalten will, dann muss es alles miteinschliessen.» Als Improvisator hole er sich Inspiration von überall her, hält Black fest. Darum mache es für ihnen keinen Sinn, darüber zu diskutieren, was besser sei: der Outsider-Rock der aus drei minderjährigen Schwestern bestehenden Gruppe The Shaggs oder Wayne Shorters «Nefertiti» in der Version des Miles Davis Quintet. Damit sind die zwei ersten von über zwanzig Musikbeispielen genannt, die Black aus seinem Laptop-Archiv auswählte, um seine Statements zu illustrieren (dazu gehörten u.a.: die Gruppen My Bloody Valentine und Meschugge, James Brown und D'Angelo, ägyptische Popmusik aus dem Jahre 1978, Morton Feldmans «For Samuel Beckett», John Coltranes «Chasin' the Trane», Wynton Marsalis und Steve Coleman).

Black ist offen für Musik, die seine Erwartungen über den Haufen wirft: «Neue Perspektiven zerstören das, was man bisher kannte, nicht. Sie helfen einem zu wachsen. Für mich ist es absolut notwendig, immer wieder aus meiner Kiste zu springen. Ich bin sehr neugierig.» Für ihn gibt es keine bestimmte Reihenfolge, in der man sich der Musik, die er als «my slice of utopia» bezeichnet, nähern sollte: «Man sollte allerdings nicht mehr Information aufnehmen, als man verdauen kann. Ich selbst bin wie ein Schwamm, aber ich habe auch meine Filter.» Was die Auseinandersetzung mit Vorbildern anbelangt, meint Black: «Man kann etwas zu sehr lieben. Dann muss man sich davon lösen. Aus Respekt sollte man seinen Helden nicht zu nahe kommen. Es wäre seltsam für mich, wenn mein Spiel zu sehr nach Elvin Jones, Paul Motian oder Joey Baron klingen würde.» Während des Studiums in Berklee habe es eine Zeit gegeben, in der er wie eine ziemlich gute Kopie von Jeff “Tain” Watts gespielt habe, führt Black aus: «Zuerst meinte ich, auf dem Gipfel angekommen zu sein. Aber dann fühlte sich die Situation total illegal an.»

Die Gründung des Quartetts Alax No Axis, für das er den Holzbläser Chris Speed, den Gitarristen Hilmar Jensson und den Elektrobassisten Skuli Severrison engagierte, war für Black nach dem Studium eine Art Reinigungsprozess, in dessen Verlauf er gewisse Kollateralschäden der Jazzausbildung rückgängig machte. «Ich hatte viele heimatlose musikalische Ideen, die einen Platz brauchten», erinnert er sich. Die meisten Stücke für Alas No Axis komponiert Black auf der Gitarre, die er zum Teil speziell stimmt. Als Inspirationsquellen nennt er Björk und Gruppen wie Radiohead, Soundgarden, Nirvana, Sonic Youth und Smashing Pumpkins, aber auch den sehr stark auf die Erzeugung kollektiver Energien ausgerichteten Free Jazz von Albert Ayler. Tatsächlich wird bei Alas No Axis sowohl auf Swing-Feeling als auch auf solistische Individual-Trips verzichtet. Black gibt die Generallinie vor, ist aber offen für Anregungen seiner Mitmusiker. In seiner Musik spürt Black zum Teil verborgene Verbindungslinien auf; eine davon lässt sich zum Beispiel erahnen, wenn er einen Ausschnitt aus dem Album «Song X» von Ornette Coleman und Pat Metheny direkt nach einem Song von Paul McCartney abspielt.

Ein Name taucht in Blacks Ausführungen besonders häufig auf: Bill Frisell. Für Black ist der legendäre Gitarrist «ein lebendes Beispiel dafür, wie man sehr viele Musikformen zu etwas total Eigenständigem zusammenführen kann». Black spielt den ersten Track von Frisells Album «Before We Were Born» (Nonesuch) ab und kommentiert: «Dieses Album fasste so gut wie alles zusammen, wonach mir nach Berklee der Sinn stand. Es sprach mich auf allen Ebenen an.» Black ist das Gegenteil eines Schwarzweissmalers, er nutzt alle Farben, die ihm zur Verfügung stehen - so ergänzt er neuerdings sein ungemein facettenreiches Schlagzeugspiel in gewissen Gruppen durch Elektronik.

Die Jazzausbildung, wie sie heute mehrheitlich praktiziert wird, sieht Black mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits sei es sicherlich nicht schlecht, wenn man schnell und systematisch an viel Wissen herankomme; andererseits geht er mit Ralph Alessi einig, der den institutionalisierten Jazzschulen eine falsche Prioritätensetzung vorwirft und daher als Alternative die «School for Improvisational Music» (SIM) ins Leben rief. Und dann erzählt Black noch die Story des Kontrabassisten Dave Holland, der seinen Dienst am New England Conservatory in Boston nach bloss einem Jahr quittierte, weil er sich von den Studierenden nicht länger erklären lassen wollte, warum sie nicht genug zum Üben kämen. In der Rolle des Lehrers habe er die Aufgabe, den Studierenden dabei zu helfen, sich selbst zu entdecken, sagt Black: «Wenn jemand eine Leidenschaft hat, dann habe ich dafür zu sorgen, dass diese nicht verkümmert, sondern aufblüht.»

Er selbst habe bereits als Kind auf Büchsen Schlagzeug gespielt. Mit zehn Jahren erhielt Black von einem Pfarrer den ersten Unterricht auf einem Drum-Pad. Nachdem ihn ein Lounge-Drummer unter seine Fittiche genommen hatte, spielte Black viel Rock, u.a. in einer Gruppe, die die Band Rush kopierte. Der nächste Schritt war eine aus lauter Teenagern bestehende Swing-Bigband: «In drei Jahren machte ich enorme Fortschritte. Danach wollte ich es wirklich wissen. Zuerst hörte ich viel Fusion, dann kam ich vom elektrischen Miles zum akustischen Miles, von Weather Report zu den Blue-Note-Aufnahmen von Wayne Shorter ... Die Alben von ECM waren ebenfalls faszinierend. Während des Studiums teilte ich das Zimmer mit Chris Speed und Andrew D'Angelo, mit denen ich auch im Plattenladen Tower Records arbeitete und in der Band Human Feel spielte. Das war eine sehr intensive Zeit.»

Und sehr intensiv ging es weiter. In New York lebte Black drei Jahre lang in einem Zimmer ohne Fenster - so konnte er sich vollumfänglich auf diejenigen musikalischen Aktivitäten konzentrieren, die ihm am Herzen lagen, auch wenn diese nicht viel Geld abwarfen. Inzwischen hat sich seine Wohnsituation gebessert, er lebt im trendigen Quartier Park Slope im New Yorker Stadtteil Brooklyn (im Wikipedia-Artikel über Park Slope wird er sogar als «notable resident» aufgeführt) und irgendwann möchte er sich ein Stückchen Land an der wilden Westküste Portugals kaufen. Dort hat er einen Ort gefunden, wo er seine Batterien fernab urbaner Hektik aufladen kann. So schnell zur Ruhe setzen, wird sich Jim Black allerdings nicht - dafür ist ihm die Musik zu wichtig: «Wenn ich spiele, bin ich wirklich in der Musik drin. Ich fokussiere mich ganz auf die Sounds, die ich höre. Es zählt nur noch der Moment. Ein Konzert ist ein heiliger Moment. Dabei kann man auch unheimlich viel Spass haben. Früher war das nicht immer so. Ich erinnere mich daran, wie ich total nervös wurde, als ich eines Abends Joe Lovano im Publikum erblickte. Ich dachte mir: “Oh, mein Gott! Jetzt muss ich mir besonders viel Mühe geben. Swinge ich auch genug stark? Sollte ich nicht ein bisschen aktiver spielen?” Damit wars passiert, ich verkrampfte mich und spielte schlecht. Beim Spielen sollte man eben nicht zu viel denken.»

www.jimblack.com

Tom Gsteiger


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