Vierter Teil

Feedback aus der Praxis

 

1. Planung und Durchführung

Eine klare Struktur im Aufbau erleichtert für den Schüler die Orientierung. Er verliert keine Energie um eine Einordnung der Situation selbst vorzunehmen. In diesem Sinne fördert ein zu Beginn der Lektion mitgeteilter Unterrichtsplan die Lernbereitschaft des Schülers. Ein Nachteil ist es aber, da nun auch ein gewisser Druck auf der Situation lastet den Plan auch wirklich so durchzuführen. Es kommt immer wieder vor, dass der Lehrer in der Lektion nicht den geplanten Stoff durcharbeiten kann, sei es weil die Zeit nicht reicht oder weil vom Kurs abgewichen wird. Wurde der Plan anfangs mitgeteilt können schnell negative Reaktionen ausgelöst werden.

beim Schüler:

- Der hat ja meine Stunde doch nicht vorbereitet.

- Jetzt macht er schon wieder was er will.

- Ich bin wohl zu langsam, jetzt haben wir es schon wieder nicht geschafft das Programm in einer Lektion durchzuziehen

beim Lehrer

- Ich habe schon wieder schlecht geplant

- Wieso kann ich nicht beim Thema bleiben

- Ich kann wohl nicht erklären, oder wieso dauert das bei ihm so lange, das ist doch gar nicht schwierig?

 

Es ist deshalb immer sehr sinnvoll, zu erklären weshalb man einen vorgeschlagenen Weg doch verlässt, wieso jetzt plötzlich etwas anderes an Priorität gewinnt.

In der Realität gibt es viele Gründe wieso der Unterrichtsstoff nicht durchgearbeitet werden kann. Der eine ist, dass der Schüler unerwartet wenig neues Material aufnehmen konnte, die Gründe liegen da beim Schüler, seiner Konzentrationsfähigkeit, einer speziellen Situation in der er steckt usw. Viel häufiger liegen die Gründe aber beim Lehrer, der zu viel in eine Stunde packt, der bei der Planung Fragen des Schülers nicht einkalkuliert hat, der dem Spielen oder Vorzeigen zuwenig Zeit eingerechnet hat, der die Lerngeschwindigkeit des Schülers falsch eingeschätzt hat.

Wenn abzusehen ist, dass der geplante Stoff in der jeweiligen Lektion nicht mehr vernünftig eingebracht werden kann, sollte er nicht auf die Hausaufgaben übertragen werden. Noch schnell am Unterrichtsende aus Zeitnot hineingepresste Informationen erreichen den Schüler ebensowenig, wie die Aufforderung '... und jetzt machst du dasselbe auch noch im 7/8 und im 5/4, somit könnten wir dieses Kapitel dann beenden und nächstes Mal mit etwas Neuem beginnen.'

Es ist eine didaktische Binsenwahrheit, dem zu lernenden Stoff im Unterricht auch die entsprechende Zeit zuzurechnen, in der Praxis erweist es sich aber als schwierig, konsequent einem langsameren als dem eigenen Lerntempo gerecht zu werden. Der Lehrer gibt zum wiederholten Mal eine Einführung in ternäre Phrasierung und möchte sogleich mit deren Anwendung beginnen. Der Schüler, der dies aber zum ersten Mal hört, braucht seine Zeit, bevor er mit der Umsetzung beginnen kann.

 

2. Lernbereitschaft erzeugen, Blockaden überwinden

Die eigenen Leistungen und Wahrnehmungen werden oft durch Verschlossenheit oder mangelndes Selbstvertrauen eingeschränkt. Eine unbegründete Angst vor neuen Situationen steht im krassen Gegensatz zur Forschernatur des Menschen und verhindert so manches mühelose Lernen.

Ein diesbezüglich einschneidendes Erlebnis hatte ich an einem Pierre Favre Workshop an dem ca. 80 Personen teilnahmen. Er erteilte eine Einführung in sein 'rhythme en mouvement' Konzept was übersetzt werden kann in 'Rhythmusempfinden für den Körper und nicht für den Intellekt'. In einem Kollektiv, in dem sich die Einzelpersonen nicht gut kennen, spielen viele hemmende Mechanismen zusammen. Die allgemein erkennbare Lernbereitschaft konnte ungefähr so beschrieben werden:

• Was soll ich denn hier, Rhythmus ist doch etwas für Schlagzeuger?

• Wieso soll ich jetzt aufstehen und mitmachen? Ich möchte, dass du mir die
komplexesten Rhythmen theoretisch erklärst, ohne dass ich mich bemühen muss.

• Wieso spielst du uns nicht einfach ein aufregendes Schlagzeugsolo vor, so richtig
laut und schnell und mit Knochen auf Buschtrommeln!

Einmal aufgestanden versuchten alle im Schutz eines verlegenen Lächelns in erster Linie cool auszusehen und verpassten es natürlich sich mit den eigenen Wahrnehmungen auseinanderzusetzen. Als sich die allgemeine Peinlichkeit gelegt hatte und sich jeder eingestehen konnte, dass er tatsächlich koordinative Schwierigkeiten hat in Vierteln zu gehen und in Achteln ein Kissen in den Händen zu wenden, erst da war die nötige Lernbereitschaft erreicht und es konnte gearbeitet werden. Und aus dieser Sicht war es plötzlich überraschend wie weit Pierre Favre mit diesen Leuten gehen konnte.

Nach einer Viertelstunde, in der wir ohne Pause verschiedene Übungen zu einem Metronom von 40 BpM ausgeführt und vor allem physisch empfunden hatten, sagte Pierre er würde nun das Metronom verstellen. Alle waren sich sofort einig, das Tempo war deutlich schneller geworden. Die ersten Schätzungen der Teilnehmer lagen bei 48-52 BpM. 'Das ist 41' sagte Pierre und löste ein Raunen im Saal aus. Zum ersten Mal hatten wir wirklich erlebt wie fein unsere Wahrnehmung von Zeit sein kann!

 

3. auswählen der Unterrichtsmethoden

Ich versuche möglichst verschiedene Methoden in meinen Unterricht einfliessen zu lassen. Es hängt natürlich von diversen Faktoren ab, welche Vorgehensweise in der Situation am erfolgversprechendsten ist. In erster Linie diktiert bei mir der zu vermittelnde Stoff die einzusetzenden Mittel. Ich unterscheide grundsätzlich immer zwischen Wissen (deklarativ) und Können (prozedural), da beides auch grundverschiedene Aufgaben an das Gehirn, unsere Lerninstanz, stellt.

 

3.1 vermitteln von Wissen

Im normalen Schulunterricht besteht ein krasses Ungleichgewicht zwischen prozeduralen und deklarativen Lernanforderungen. Alles in der Schule als wichtig bewertete Wissen muss mit dem deklarativen Gedächtnis bewältigt werden. Aus diesem Grund wurde aus der pädagogischen Ecke vermehrt gefordert, das Wissen auf unterschiedlichen Kanälen und unter Anwendung von verschiedensten Methoden zu präsentieren.

Anders als im Schulunterricht präsentieren sich die intellektuellen Anforderungen an den Schüler im Instrumentalunterricht. Das zu erlernende Wissen ist verschwindend klein im Vergleich zu den Fähigkeiten die ausgebildet werden müssen. Ich setze deshalb das Vermitteln von Wissen bewusst als Auflockerung zum ständigen Arbeiten an den Fähigkeiten ein. Da diese Art von Information sehr stark dem Vergessen unterliegt, lege ich aber Wert darauf, dass sie nicht ausschliesslich mündlich abgegeben wird. Ein Bild, ganze Texte oder eine kurze Zusammenfassung sind hilfreich um später eine Unterrichtssequenz revue-passieren zu lassen. Im Laufe der Unterrichtszeit kann der Schüler so einen kleinen Nachschlagepool in schriftlicher Form zusammenstellen. Dies hat zudem den Vorteil, dass er zurückblicken und den manchmal schwer erkennbaren Weg, den er bereits zurückgelegt hat, sehen kann.

Zu diesem Wissen, das in meinem Unterricht vermittelt wird, gehören folgende Themen:

• Instrumentalkunde

• stilistisch/geschichtliches Wissen

• grundlegende Prinzipien von Spieltechnik

• Lernprozesse beim Bewegungslernen

• Übungstechniken und Trainingseffekte

 

3.2 vermitteln von Fähigkeiten

Im Instrumentalunterricht ist der Lehrer beim Vermitteln von prozeduralen Fähigkeiten gefordert, Gleichförmigkeit in der Wahl seiner Methoden zu vermeiden. Die verschiedenen Methoden können sicher als Anregung für die Gestaltung einer Lektion benutzt werden, um beispielsweise bewusst festgefahrene Muster zu brechen. Doch geht es im Grunde darum, eine 'Lehr-/Lernkommunikation mit dem Schüler einzurichten die effektiv ist und bei der sich die Beteiligten wohl fühlen. Wichtig zu erkennen ist der Mechanismus, dass je aktiver der Schüler beim Lehrprozess ist, desto langanhaltender wird das Lernergebnis sein.

Der eine Schüler ist vielleicht aktiver im analytischen Beobachten. Diesem Schüler sollte man möglichst alles genau und isoliert vormachen.

Ein anderer ist aktiver wenn er mitspielt, seine eigenen Erfahrungen macht. Mit diesem Schüler sollte das Zusammenspiel ein zentrales Element sein. Und ein dritter ist am aktivsten wenn er sich auf das akustische Endprodukt konzentriert. Diesem müsste man genügend Zeit geben und viel vorspielen.

Der Schüler sollte möglichst rasch zum wahren Ziel, nämlich dem Beherrschen einer Übung geleitet werden. Dazu sollte die effektivste Methode gewählt werden, ungeachtet davon ob sie in der Lektion bereits einmal, zweimal oder zehnmal benutzt wurde. Denn trotz dem vielleicht gesteigerten Unterhaltungswert der Lektion gewinnt der Schüler nichts Substantielles, von dem er zehren kann. Nur das konstante Vorankommen, das Überwinden von Problemen in möglichst immer schnelleren Intervallen wird den Schüler auf lange Sicht befriedigen.

 

4. Folgerichtigkeit, sinnvoll verknüpfen

Soll ein roter Faden durch die Stunde führen, so müssen die einzelnen Elemente dramaturgisch richtig aufeinander folgen. Dabei ist einiges zu befolgen. Die einzelnen Unterrichtsphasen sollten vorbereitend auf die nächsten sein. Sie sollten dort aufgegriffen, benutzt und entwickelt werden. Um Fähigkeiten zu festigen ist es wünschenswert, sie in unterschiedlichen Zusammenhängen zu gebrauchen. So werden sie auf unterschiedlichen Kanälen abgespeichert und können problemloser wieder aufgegriffen werden. Nach Möglichkeit sollten die einzelnen Phasen die verschiedensten Lernfeldern berühren, die gemäss übergeordneten (Semester-)Plänen behandelt werden sollen. Ansonsten entsteht auf Dauer dort ein Defizit. Beispielsweise könnten sie die gängige Prozedur vom Aufwärmen über Technik und Koordination zu musikalischen/spielerischen Elementen einschliessen.

Beim Zusammenstellen solcher thematisch aufgebauten Lektionen ist zu beachten, dass sie aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden können und dabei immer neue Facetten preisgeben. Im Idealfall sollte auf diese Art und Weise ein Übungskatalog durchgearbeitet werden können, bei dem die einzelnen Übungen logisch aufeinander folgen, die eine als Vorbereitung für die nächste steht, die nächste die vordere ergänzt und festigt. Gelingt es solche Abfolgen zu konstruieren, wird der Unterricht zu einer Einheit. Er hinterlässt dann einen tieferen Eindruck und bewirkt mehr als die Summe der Einzelteile, die er beinhaltet.

 

 

5. Flexibilität, der Umgang mit dem Unerwarteten

Unerwartet auftauchende Probleme müssen sofort erkannt und auf ihre Wichtigkeit analysiert werden. Zu deren Beseitigung bieten sich verschiedene Möglichkeiten. Erweist sich das Problem für die jeweilige Situation als nicht relevant, kann es als Notiz festgehalten und zu einem späteren Zeitpunkt, als zentrales Thema einer anderen Lektion behandelt werden. Ist es jedoch für das aktuelle Thema grundlegend, empfiehlt es sich den Unterrichtsplan zu verlassen und einen Block einzuschieben, um dieses Problem zu beseitigen. Eine weniger erfreuliche, aber auch realistische Situation ist die, dass dieses Problem immer wieder auftaucht, der Schüler jedoch die Motivation nicht aufbringen kann daran zu arbeiten. Haben alle Motivationsversuche versagt, hat der Lehrer nur noch zwei Alternativen:

1. Er konfrontiert den Schüler immer wieder mit dem Problem in der Hoffnung, dass dessen Wichtigkeit erkannt wird und sich der Schüler doch noch damit auseinandersetzt. Dies birgt das Risiko, dass der Schüler die restliche Freude am Musizieren auch noch verliert und gänzlich aufhört zu spielen.

2. Der Lehrer unternimmt alle Anstrengungen um den Unterrichtsstoff so zu gestalten, dass dieses Problem elegant umschifft wird. Dies allerdings zum Preis, dass der Schüler nicht weiterkommen wird. Genügsame Schüler können sich damit zufrieden geben, dass sie objektiv betrachtet nicht weiterkommen, weil eher die Beschäftigung, der Zeitvertreib mit Musik im Vordergrund steht. Ehrgeizigere Schüler werden längerfristig entweder die Freude verlieren oder aber durch die Stagnation doch noch motiviert, das Problem zu erarbeiten.

 

6. das Ende, bitter oder süss

So wie jeder gute Film ein gutes Ende braucht, muss der Schlusspunkt des Unterrichts überzeugend sein. Ein ultimatives Ziel jeder Lektion muss sein, den Schüler mit einem positiven Gefühl zu verabschieden. Dramaturgisch gesehen sollte sich das aufgebaute, intensive Arbeitsklima in ein befriedigendes Gefühl auflösen, das den Schüler zum selbständigen Weiterarbeiten motiviert. Dies kann auf verschiedenste Arten herbeigeführt werden. Man könnte entspannende, spielerische Übungen an der Schluss der Lektion stellen. Der Schüler wird mit einer Aufgabe beauftragt, an der die Fortschritte dieser Lektion gemessen werden können. Der Lehrer zeigt dem Schüler wohin seine Bemühungen führen können und spielt ihm vor.

Gelingt der Abgang aus einem Thema am Ende der Lektion nicht, weil z.B. der Schüler sich in ein Problem verstrickt hat, muss ein positives Gefühl auf eine andere Weise erreicht werden. Eine generellere mündliche Standortbestimmung, ein Ausblick auf die nächsten Themen oder Ereignisse, eine Rekapitulation von dem was alles gut lief in der Lektion können hilfreich sein. Der Lehrer könnte sich auch fragen, ob er aufgrund der Konzentrationsfähigkeit des Schülers so ein schlechtes Ende hätte voraussehen können. Dementsprechend müssten die Schwierigkeiten und neuen Themen innerhalb einer Lektion zeitlich anders plaziert werden. Kommt der Schüler zum Beispiel immer direkt von der Arbeit und benötigt eine Weile um sich zu beruhigen, macht es wenig Sinn neue Themen zu Beginn der Stunde zu behandeln. Vielleicht wären da spielerische Aktionen oder Wahrnehmungsübungen besser geeignet.


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