Zweiter Teil

Philosophien zum Unterricht

 

1. die Ausgangslage

1.1 die Motivation zu unterrichten

Es lässt sich natürlich nicht abstreiten, dass auch ein Musiker für seine Existenz sorgen muss, einen Weg finden muss wie er zu seinen Brötchen kommt. Eine Möglichkeit das zu erreichen ist das Unterrichten. Dies lässt sich aber stilvoll und weniger stilvoll gestalten.

Es besteht eine lange Tradition im Vermitteln von Kulturgut. Insgeheim geht jeder, der Wissen und Fähigkeiten daraus schöpft, eine stillschweigende Verpflichtung ein auch wieder etwas zurück in den Pool zu werfen. Unterricht ist in dem Sinn auch eine Form, diese Tradition aufrechtzuerhalten.

Überschätzung der eigenen Wichtigkeit ist ein weitverbreitetes Phänomen und ich möchte mich nicht in die selbe Reihe eingliedern. Doch wenn ich als Lehrer meine wichtigste Aufgabe beschreiben müsste, so wäre das, eine lebensbejahende Haltung zu vermitteln. Das ist nicht so heroisch wie die Welt vor dem Untergang zu bewahren, aber dennoch ein Beitrag zu einem harmonischeren Ganzen, sei er auch noch so winzig.

 

1.2 der Gewinn beim Unterrichten

Schlagzeug zu unterrichten kann eine dankbare Aufgabe sein. Im Ausgleich zu den gutbürgerlichen Tätigkeiten, die die Schüler im Beruf oder der Schule erwarten, kann im Schlagzeugunterricht das physische Erleben in den Vordergrund gerückt werden. Der ganze Körper hat Teil und wird angeregt. Im Alltagsleben vernachlässigte Elemente wie Haltung können thematisiert werden. Auch das akustische Erlebnis stoppt nicht mit der Aufnahme der Schallwellen durch die Ohren sondern spricht den ganzen Körper an. Was geht schon über einen satten Drumbeat?

Kommt es bei Instrumenten wie Geige oder Klavier auch heute noch vor, dass die Hauptmotivation das Instrument zu lernen weniger beim Schüler selbst als bei dessen Eltern liegt, kann dies beim Schlagzeug ausgeschlossen werden. Ich bin in der glücklichen Lage ein Instrument zu unterrichten, bei dem ich davon ausgehen kann, dass es der Schüler aus freien Stücken gewählt hat und dementsprechend eine minimale Motivation auf jeden Fall vorhanden ist. Wenn ich mir überlege, dass die Mehrzahl der Schüler mit ihrem Hobby einen Ausgleich zum Berufs- und Schulalltag verfolgen und sich deshalb aus Freude mit Musik beschäftigen, kann ich mich glücklich schätzen, mich mit diesen sonnigen Seiten der Menschen auseinanderzusetzen.

 

1.3 die Aufgabe des Lehrers

Der Lehrer besitzt gegenüber dem Schüler einen Wissensvorsprung. Seine Aufgabe ist es, dem Schüler verschiedene Türen aufzustossen und ihm einen Blick auf Unbekanntes zu gestatten. Je nach Reaktion des Schülers kann sodann ein solcher für ihn unbekannter Weg weiterverfolgt werden. Anregungen des Schülers sollten immer aufgenommen werden und entweder spontan weiterverfolgt oder aber zuerst neu strukturiert und zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen werden. Solche Andeutungen liefern dem Lehrer Inspiration, erleichtern es ihm mit stets neuen Gedanken den Unterricht auf längere Sicht interessant zu gestalten. Der Schüler erhält so das Gefühl, einen massgeschneiderten Unterricht zu erhalten und ist beim spannenden Entstehungsprozess aktiv involviert, was ihn im selbständigen Umgang mit der Materie inspirieren dürfte.

Neben den offensichtlichen pädagogischen Aufgaben im fachlichen wie im sozialen Bereich, die ein Lehrer zu erfüllen hat, bin ich mir aber bewusst, dass ich eine Dienstleistung zu erbringen habe. Diese hat zwar auch mit so heroischen Begriffen wie Kunst und Kultur zu tun. Nicht abzustreiten ist aber, dass Musik in jeder Form in der Unterhaltungsindustrie verwurzelt ist. Beim Unterricht geht es darum, einer Person zu emotionaler Erfüllung zu verhelfen und das heisst nichts anderes als: der Schüler muss glücklich nach Hause gehen. Info-tainment heisst das Schlagwort für ein solches Vorhaben und daran kommt der Musikunterricht auch nicht vorbei, will er einen Schüler langfristig interessiert halten. Der Musikunterricht konkurriert mit dem Unterhaltungswert von TV und der Erlebniswelt von Bungeejumping!

 

1.4 die Ressourcen im Unterricht

Jeder Mensch besitzt Energien und einen gewissen Handlungsdrang. Mit der Bereitschaft in den Unterricht zu kommen statt passiv vor dem TV zu sitzen signalisiert der Schüler mindestens ein minimales aktives Potential. Als Unterrichtender gilt es nun mit diesen Energien zu spielen, sie in eine Richtung zu kanalisieren, in der sie Produktivität ermöglichen. Man sollte mit den Anlagen des Schülers arbeiten und sie kultivieren. Dazu gehört selbstverständlich, dass dem Schüler Raum gelassen wird Fragen zu stellen oder sich auf andere Art einzubringen. Oft kann durch einen fragenden Blick oder eine kleine Pause nach dem Durchspielen einer Übung eine Selbstanalyse provoziert werden. Dies ist zweifelsfrei sehr wünschenswert, denn es fördert die Urteilsfähigkeit, die Selbstkritik und führt zu Selbständigkeit, die beim Üben zuhause essentiell ist.

 

2. das Leitmotiv

Mein langfristiges Ziel als Lehrer ist es, einen Schüler entlassen zu können, der Individualität im musikalischen Bereich und Selbständigkeit in seinem Arbeiten erlangt hat. Abhängigkeiten müssen zugunsten von Initiative und Eigenverantwortung aufgehoben werden. Um das zu ermöglichen muss ich dem Schüler verschiedene Werkzeuge zur Verfügung stellen, beziehungsweise antrainieren. Urteilsfähigkeit und Übestrategien sind zwei wesentliche Punkte hierfür. Im Kapitel 5.4 Erziehung zu selbständigem arbeiten ist beschrieben wie ich das konkret zu erreichen gedenke.

 

2.1 emotionale Befriedigung oder das oberste Ziel

Meines Erachtens muss eine emotionale Befriedigung und damit eine höhere Lebensqualität angestrebt werden. Und zwar sollte diese Befriedigung sowohl langfristig wie auch kurzfristig nach jeder Lektion zu spüren sein, was das Ganze nicht unbedingt vereinfacht. Ausschliesslich wenn dieses Ziel erreicht wird, wird der Schüler Motivation zeigen, Fleiss aufbringen, Fortschritte erzielen und dann Freude empfinden. Je nach Eigenschaften eines Menschen wird diese sich drehende Spirale ihn an unterschiedliche Orte befördern, was im Endeffekt die Individualität im musikalischen Bereich ausmacht. Es versteht sich von selbst, dass demnach eine gelungene Lektion für jedes Individuum anders aussieht, da jeder andere Dinge zur emotionalen Befriedigung braucht.

Diese Beobachtungen lassen sich uneingeschränkt auf den Lehrer übertragen. Es besteht also immer ein Wechselspiel, an dem beide Parteien wachsen können.

 

 

2.2 das Konzept von Kontrolle und Fortschritt

Kontrolle ist der Nährboden für Fortschritt. Veränderungen lassen sich nur feststellen, wenn ein absoluter Bezugspunkt gegeben ist. Um motiviert zu bleiben muss ein Schüler feststellen können, dass er dazulernt. Doch wie erkennt ein Schüler seine Fortschritte? Er muss eben diese Bezugspunkte haben. Das heisst, er sollte in einer Situation seine Grenzen kennen. Er sollte ebenfalls genau wissen, welcher Schritt gerade vor ihm liegt. Die Aufgabe des Lehrers ist es dann, ihm die Mittel zur Verfügung zu stellen, die er zur Bewältigung benötigt. Als letztes sollte der Schüler selbst eine Kontrollmöglichkeit haben mit der er erfährt, ob er nun tatsächlich den angestrebten Fortschritt erreicht hat oder nicht. Nur indem er die Kontrollmöglichkeit hat, wird er den eigenen Fortschritt feststellen können und daraus die Motivation für das Weiterlernen erhalten.

Für den Lehrer heisst dies, dass er dem Schüler stets das Ziel der Arbeit in Aussicht stellen muss. Dieses Ziel sollte messbar sein. Das könnte das Durchspielen einer Zeile, eine neue koordinative Kombination, oder das Zählen und Klatschen eines Rhythmus sein. Der Lehrer soll nun die Mittel zur Erreichung dieses Ziels erarbeiten und letztenendes eine Einschätzung des Schülers über seine Durchführung provozieren. Danach kann er wenn nötig seine Kritik anbringen.

Diese Überlegungen können auch auf den Lehrenden übertragen werden. Wie erkennt dieser, ob er guten Unterricht erteilt? Wie der Schüler kann der Lehrer mit Kontroll-instrumenten seine Leistungen analysieren und beurteilen. Zu dem Zweck habe ich eine Tabelle erschaffen, die dazu dient einen Überblick im didaktischen Bereich über das eigene Vorgehen zu gewinnen. Mit der nötigen Distanz zur aktuellen Situation können Bewertungen vorgenommen werden. Es ist mir dabei bewusst, dass ein optimales Einsetzen von Methoden und Mitteln noch lange kein Garant für gelungene Stunden ist, doch kann man zumindest Tendenzen im eigenen Unterrichtsverhalten erkennen, die zu spezifischeren Beobachtungen Anlass geben können. Die Reflexionen über das eigene Unterrichtsverhalten sind wichtiger als die gleichmässige Verteilung von Kreuzchen in der Tabelle. Die Tabelle ist im Fünften Teil: Hilfsmittel für den Unterrichtenden abgedruckt.

 

3. der Spezialfall Gruppenunterricht

In der heutigen Zeit und wirtschaftlichen Lage wird der Instrumentalunterricht immer mehr in der Form von Gruppenunterricht abgehalten. Dass dies gegenüber dem Einzelunterricht nicht unbedingt als Rückschritt gewertet werden muss, sollen folgende Gedanken erläutern.

• Verglichen mit Sport gehört Musik zu den Teamsportarten. Es erscheint logisch
eine Fussballmannschaft zusammen trainieren zu lassen. Wieso sollte Musik nicht
in einem Kollektiv erlernt werden?

• Die überwältigende Mehrheit der Musik, die konsumiert wird, entstand in einem
Kollektiv.

• Ebenfalls die überwältigende Mehrheit der Instrumente werden per se nicht als
für Einzeldarbietungen geeignet betrachtet. Wieso sollten sie im Einzelunterricht
erlernt werden?

• Der Gruppenunterricht bietet die Möglichkeit für Schüler sich untereinander
auszutauschen, zu profitieren, zu erkennen, dass andere dieselben Schwierig-
keiten haben und zu sehen wie andere sie bewältigen.

• Es gibt sehr viele Lernfelder, die im Kollektiv erlernt werden können, und bei-
nahe ebenso viele, die ausschliesslich im Kollektiv erlernt werden müssen.
Bedenken wir, dass das Bewältigen von individuellen Problemen meistens sowieso
in den Übungszeiten geschieht, spricht nicht mehr viel für Einzelunterricht.

 

 

im Kollektiv zu erlernen

ausschliesslich im Kollektiv zu erlernen

nur im Einzelunterricht möglich

• Spieltechnik

• Notenlesen

• Blattspiel

• Rhythmik

• Theorie

• Gehörbildung

• Instrumentenkunde

• Interpretation

• Phrasierung

• Improvisation

• Interaktion

• Banderfahrungen

• stiltypische Phrasierungen

(Big Band, Samba, Afro-Cuban...)

• Erster Kontakt mit dem Instrument

• Individuelles Repertoire

• Solostücke

 

Ein Anfänger muss sich vertraut machen mit dem Instrument, die Notenschrift erlernen, technische Fähigkeiten erarbeiten, rhythmische Sicherheit gewinnen usw. Kurz er muss sein Handwerk erlernen. Erst viel später kann er beginnen an Interpretation, künstlerischer Entfaltung und Selbstverwirklichung zu arbeiten. Realistisch betrachtet findet dieser zweite Schritt im 'normalen' Instrumentalunterricht an Musikschulen kaum statt. Die Befriedigung und Motivation der Schüler liegt in einem ganz anderen als dem künstlerischen Bereich. Im Bildungswesen wird Handwerk bei Normalbegabung ausschliesslich im Kollektiv unterrichtet. Eine Einbindung ins normale Schulprogramm mit der entsprechenden Aufwertung würde ich sehr begrüssen. Der Gruppenunterricht in Schulen ist der einzige realistische Weg der dahin führt.

Das Spielen in einem Kollektiv setzt andere Fähigkeiten voraus als das Solospiel. Der Spieler hat musikalisch einen viel kleineren Bereich abzudecken als in der Soloperformance. Es würde eigentlich logisch erscheinen die musikalische Ausbildung in Gruppen zu beginnen und erst später in Richtung Soloperformance im Einzelunterricht auszuweiten. In den USA werden solche Konzepte bereits seit langer Zeit praktiziert. Im Extremfall lernen in einer High-School-Marching-Band 20 Anfänger auf den unterschiedlichsten Instrumenten gemeinsam zu musizieren!

Bezogen auf das Schlagzeugspielen ergeben sich in Gruppen sogar noch andere Vorteile. Durch die besondere Schwierigkeit der Koordination lassen sich im Kollektiv ganze Rhythmen aus den einzelnen Mosaiksteinchen zusammenstellen, die der Einzelne nicht spielen könnte. Sehr viele traditionelle Rhythmen sind so aufgebaut, dass sie mehrere Spieler beschäftigen. Das Spiel in Gruppen fördert dabei das Time-Empfinden und natürlich Teamgeist, Kommunikation und sozialer Umgang.

 

4. der Unterricht

4.1 erzeugen einer Lernatmosphäre

4.1.1 Äusserlichkeiten, der Grundstein

Das Einrichten einer positiven Lehr- und Lernatmosphäre ist eine der Hauptverantwortlich-keiten des Unterrichtenden. Nicht zu unterschätzen sind hierbei äussere Faktoren. Die können schon mal ein gutes allgemeines Raumklima entstehen lassen. Entsprechende Beheizung und Belüftung sowie ausreichende Beleuchtung erleichtern die Konzentration. Adäquate Infrastruktur mit einer geeigneten Akustik und gepflegte Instrumente runden das Ganze ab.

 

 

4.1.2 Kommunikation, der nächste Schritt

Es sollte oberste Priorität haben einen kommunikativen Draht zum Schüler aufzubauen. Dies kann entweder rein über das Fachliche geschehen aber auch in ungezwungenen Gesprächen über andere Gemeinsamkeiten. Es sollte um jeden Preis vermieden werde, den Schüler unbeabsichtigt in eine defensive Position zu bringen. Solche Situationen sind extrem kommunikationshemmend und zielen auf einen Frontalunterricht hin, bei dem der Schüler zum Statisten verwaist. Soll sich der Schüler in den Unterricht einbringen, so muss eine vertrauensvolle Situation geschaffen werden. Er muss psychologisch gesehen auf eine Ebene gehoben werden, auf der er sich als gleichwertiger Gesprächspartner fühlt. Der Lehrer sollte jedoch immer die Fäden der Unterhaltung in der Hand haben um das Gespräch den didaktisch relevanten Themen entlang zu führen.

Genau so gut kann ein gutes Verhältnis zum Schüler über nonverbale Kanäle etabliert werden. Das Raumverhalten und die Körpersprache tragen einen entscheidenden Beitrag zur Lernatmosphäre bei. Bewegungen und Mimik, Tonfall und die Art zu beobachten werden vom Schüler unbewusst wahrgenommen. Auf dieser Ebene findet ebenso Kommunikation statt wie in verbaler Form. Und auch hier kann der Lehrer pädagogisch wirken oder Fehler begehen. Ein zu geringer Abstand zum Instrument/Schüler kann bedrängend wirken und in Situationen mit erhöhtem Stressanteil wie beispielsweise beim Blattspiel irritierend wirken. Ebenfalls das Unterrichten in stehender Position, auf den Schüler niederblickend, hat eine eher einschüchternde Wirkung. Bereits leichtes Bewegen oder Tanzen kann im Gegenzug aber sogar anregend und für den Schüler motivierend wirken und zu einer entspannten Lernsituation beitragen.

 

4.2 vermitteln von Unterrichtsinhalten

4.2.1 Kommunikationsformen

Das Vermitteln von Unterrichtsinhalten kann über unterschiedliche Kommunikationsformen erfolgen.

Kommunikation im Unterricht kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden.

• Verbal: so können Erklärungen abgegeben oder Wissen vermittelt werden.

• Optisch: durch Körpersprache kann während dem Spielen unterstützt, kritisiert
oder dirigiert werden. Durch überbetonte Bewegungen können Korrekturen
angebracht werden ohne den Spielfluss zu unterbrechen.

• Akustisch: durch Vorspielen wird der Schüler zu Imitation aufgefordert. Auch
kann der Schüler mit akustischen Signalen (->Fill) durch eine Übung geleitet
oder in der Interpretation und Phrasierung beeinflusst werden.

Der virtuose Umgang mit diesen Kommunikationsformen ist im Sinne einer abwechslungs-reichen Stunde wünschenswert. Es muss aber unbedingt darauf geachtet werden, dass die gewählte Form in der jeweiligen Situation auch die gewünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Insbesondere bei verbalen Erklärungen ist darauf zu achten, dass der Schüler nicht noch mit der Aufgabe beschäftigt oder abgelenkt ist.

Es empfiehlt sich deshalb ihn zu unterbrechen und abzuwarten bis ausklingende Töne verstummt sind und erst dann verbale Erklärungen abzugeben.

 

 

4.2.2 Gedanken zu nonverbaler Kommunikation

Die Wirkung von nonverbalen Kommunikationsformen sollte keinesfalls unterschätzt werden. Als Zugehörige der westlichen Gesellschaft sind wir es gewohnt alles kognitiv erfassen zu wollen und möglichst viel verbal festzuhalten. Oft ist es aber gar nicht nötig, Musik, die sowieso nicht auf der sprachlichen Ebene stattfindet zuerst zu verbalisieren. Der Empfänger muss ja sowieso wieder seine eigene Übersetzung an seinen Körper weitergeben. Genau so gut kann man also mittels Handlungen und Bilder kommunizieren oder Informationen weitergeben.

"Sie sind schlecht beraten... wenn Sie meinen, ein auch nur halbwegs brauchbares Verstehen dieser dunklen Zusammenhänge könne Ihnen weiterhelfen. Es handelt sich hier um Vorgänge, an die der Verstand nicht heranreicht."

Ein Zenmeister über den Zusammenhang von Zielen und Treffen beim Bogenschiessen

Es ist bezeichnend, dass der grösste Teil des überlieferten Kulturguts nicht über den intellektuellen Weg sondern direkt als Erlebnisse und Empfindungen weitergegeben wird.

 

Zwar haben auch andere didaktische Methoden ihre Berechtigung, doch hat dieses Verfahren die bemerkenswerte Eigenschaft, dass der Lernende den ganzen Weg alleine geht und das Endprodukt ausschliesslich auf durchlebten Erfahrungen beruht. Und diese Erfahrungen sind in jedem Fall stärker als antrainierte Instruktionen.

 

5. Organisation von Unterricht

5.1 Zielformulierung

Zentrales Element für einen geordneten Unterricht sind Zielvereinbarungen, die getroffen werden müssen. Um ein möglichst konkretes Bild von den Vorstellungen des Schülers zu erhalten habe ich einen Fragebogen entwickelt, den jeder Schüler vor Beginn eines regelmässigen Unterrichts schriftlich auszufüllen hat. Schriftlich deshalb, weil man sich so intensiver mit den Fragen auseinandersetzen muss, als wenn diese im Gespräch nur gestreift werden.

 

 

Der Fragebogen ist im Fünften Teil: Hilfsmittel für den Unterrichtenden abgedruckt. Bei II Erster Teil 1.1 Abklärung der Voraussetzungen und Zielformulierungen ist genauer ersichtlich welche Art von Auskünften zu erwarten sind. Diese sind nicht immer sehr präzise, doch sie zeigen in erster Linie eine allgemeine Richtung an, wohin sich der Schüler bewegen möchte. Es ist in dem Zusammenhang wichtig zu erkennen, dass die so gewonnenen Antworten nicht die einzigen Informationen sind die aus dem Fragebogen herausgelesen werden können. Es lässt sich auch einiges über die Einstellung des Schülers zum Instrument feststellen. Wie genau nimmt er es? Wieviel Aufwand betreibt er? Welchen Stellenwert hat es? Ist der Schüler ein reflektierender intellektueller Typ oder eher spielerischer? Hat er klare Vorstellungen oder sucht er in erster Linie Zeitvertreib?

Eine konkrete Abstimmung des Lehrplanes kann aber nur aufgrund eines zusätzlichen Gespräches erreicht werden. Dabei muss man herausspüren wo die Interessen des Schülers liegen, da oft konkrete Ziele nicht formuliert werden.

 

5.2 Unterrichtsziele

Zielsetzungen geben dem Unterricht eine Struktur und vermitteln dem Schüler Transparenz. Überdies lassen sich anhand von Zielen Fortschritte besser messen, was sich positiv auf die Motivation auswirkt.

Hierarchisch lassen sich Ziele in vier Bereiche unterteilen:

Inhaltlich lassen sich folgende Zielbereiche feststellen

motorische Ziele:

• Technik und Bewegung

• Empfindung und Körperbewusstsein

kognitive Ziele:

• Wissen und Verstehen

• Theorie und Geschichte

emotionale Ziele:

• Ausdrucksfähigkeit, Musikalität

• positive Einstellung, Motivation

soziale Ziele:

• Lernatmosphäre

• sozial-musikalische Rollen

Leader, Sideman, Solist, Begleiter

Bandorientiert, Interaktion

• Auftreten und Präsenz

persönlichkeitsformende Ziele:

• ästhetische Urteilsfähigkeit, Meinungsbildung, Selbsteinschätzung

• Reife im musikalischen Verhalten

• Konzentration, Ausdauer, Frustrationstoleranz

Es ist essentiell, die Zielvorstellungen von Lehrer und Schüler in Einklang zu setzen damit längerfristig die Erwartungen beider Parteien in Erfüllung gehen.

" ...da gerade die Musik und das Musizieren der Entspannung, Ergötzung und Freude des Schülers dienen, ist es falsch die eigenen Ambitionen auf den Schüler zu projizieren. Es ist schliesslich wichtiger, dem Schüler die Freude am Instrument zu erhalten, als technische Höchstleistungen anzustreben."

Je konkreter die Ziele fachlich einzuteilen sind, desto einfacher lässt sich mittels geeigneter Übungen an ihnen arbeiten. Die Bereiche die sich vom eigentlichen musikalischen Handwerk entfernen und den künstelerischen Wert einer Performance ausmachen sind viel schwieriger einzufangen. Es gilt diese dem Schüler durch vorleben zu vermitteln. In der obigen Aufzählung werden diese unter emotionalen, sozialen und persönlichkeitsformenden Ziele aufgeführt. Die wichtigsten unter ihnen sind: eine positive Grundeinstellung, ästhetische Urteilsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Hemmungen überwinden, Leadership oder bewusstes Unterordnen, Kreativität zulassen.

5.3 Was unterrichte ich?

Grob lassen sich die Unterrichtsthemen in zwei Gruppen aufteilen. Das Vermitteln von Wissen und das Vermitteln von Können. Zweifelsohne gehört beides in den Unterricht, denn für den Musizierenden ist beides von Bedeutung. Fachkenntnisse und Fähigkeiten beeinflussen sich gegenseitig positiv. Zu unterscheiden sind die beiden Gruppen deshalb, weil der Mensch die Informationen jeweils anders verarbeitet. Aus diesem Grund ist es auch entscheidend in welcher Form dem Schüler die Informationen präsentiert werden.

 

Wissen kann in sehr kurzer Zeit vermittelt werden, unterliegt aber viel stärker dem Vergessen. Ich erachte es deshalb als sinnvoll diese Information schriftlich abzugeben. Mit der Zeit sollte der Schüler ein kleines Nachschlagewerk aufbauen, in dem er auch nach längerer Zeit wieder stöbern kann und zu den Informationen gelangt.

Themen die zu dieser Kategorie gehören sind:

• geschichtliche Aspekte des Instruments

• Konstruktion und Funktion des Instruments

• Lernverhalten und Übemethoden

• stilistische Hintergründe

• Theorie/Rhythmik

 

Können zu erarbeiten dauert leider sehr viel länger, dafür unterliegen die erworbenen Fähigkeiten nicht so stark dem Vergessen. Es bedarf vieler Wiederholungen bis wir uns eine Fähigkeit so aneignen, dass sie später auch wieder abrufbar ist. Dem Schüler muss unbedingt die Zeit gegeben werden Wahrnehmungen von korrekten Bewegungen aufzunehmen. Es nützt ihm nichts, nur zu wissen, wie eine Aufgabe zu meistern ist. Dazu dient das an anderer Stelle dargestellte exemplarische Üben.

Grundsätzlich sollte Können über möglichst viele verschiedene Kanäle vermittelt werden. Nur so kann ein umfassender Eindruck der Sache erzeugt werden. Auf diese Art und Weise sollten die folgenden Themen behandelt werden:

• Haltung

• Koordination

• Time/Groove

• praktische Rhythmik, Notenlesen

• Technik

• verschiedene Stile

• Gehörbildung

Es muss erwähnt werden, dass durch das Unterrichten in den oben genannten Themen natürlich noch viele weitere Qualitäten mitgebildet werden, die in einer Lektion nicht unbedingt explizit thematisiert werden. Dazu gehören:

motorische Qualitäten

• Empfindung und Körperbewusstsein

emotionale Qualitäten

• Ausdrucksfähigkeit, Musikalität

• positive Einstellung, Motivation

soziale Qualitäten

• sozial-musikalische Rollen

Leader, Sideman, Solist, Begleiter

Bandorientiert, Interaktion

• Auftreten und Präsenz

persönlichkeitsformende Qualitäten

• ästhetische Urteilsfähigkeit und damit Meinungsbildung und Selbsteinschätzung

• Reife im musikalischen Verhalten

• Konzentration, Ausdauer, Frustrationstoleranz

 

 

5.4 Erziehung zu selbständigem arbeiten

5.4.1 lernen zu beurteilen

Urteilsfähigkeit steht in direktem Zusammenhang mit den eigenen Wahrnehmungen. Die Qualität einer musikalischen Darbietung hängt von einem ganzen Netz von zusammenwirkenden Faktoren ab, die der Mensch nur mit der Zusammenarbeit von mehreren Sinneswahrnehmungen als Ganzes erfassen kann. Das Gehör ist zweifelsohne das absoluteste Instrument dazu. Es liefert jedoch nur Informationen über ein Ergebnis. Es vertuscht aber oft die fest damit verknüpfte Entstehungsphase des Klanges, nämlich die Bewegung. Beim Lernen von Bewegungen ist die eigene Wahrnehmung das beste Kontrollmittel. Es ist auch das einzige sobald der Schüler den Unterrichtsraum verlässt. Ich lege aus diesem Grund Wert darauf, dass der Schüler seine Wahrnehmung erforscht und aufgrund von ihr seine Handlungen zu beurteilen lernt. Die sogenannte Tiefensensibilität ist das geeignete Mittel Bewegungen zu bewerten. Unter Tiefensensibilität verstehe man das Zusammenspiel von Stellungssinn, Bewegungssinn und Kraft-/Muskelsinn. Dadurch ist es uns möglich jederzeit Informationen über die Gelenkstellungen zu erhalten, über die Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit sowie über den Kraftaufwand. Entweder durch speziell dafür geschaffene Übungen oder durch das stetige Bewusstmachen von Zusammen-hängen kann die Beziehung zwischen Bewegung und Klangergebnis beim Spielen verdichtet werden. Eine Übung mit geschlossenen Augen auszuführen kann zum Beispiel das körperliche Empfinden verstärken. Ebenfalls führen übertriebene Bewegungen zu eindeutigeren Wahrnehmungen. (Konzept der verstärkten Sinneseindrücke)

 

5.4.2 lernen zu lernen

Ich lege Wert darauf, dass der Schüler verstehen lernt, wie lernen funktioniert und von welchen Effekten es beeinflusst wird. Abgesehen davon, dass hin und wieder ein kleiner theoretischer und verbaler Exkurs in einer Lektion, die vor allem auf Empfindung und prozeduralen Fähigkeiten beruht, gut tut, kann das Wissen um Lernmechanismen den Schüler zum selbständigen Arbeiten befähigen. Ich versuche deshalb die Übungsformen im Unterricht so zu wählen, dass sie den elementaren Prinzipien vom prozeduralen Lernen entsprechen. Die wichtigsten Wirkungen die ich zu berücksichtigen versuche sind

• Bewegungsqualitäten, Automatie

• Transfereffekt

• Kontextinterferenz

• Wirkung von monotonem und variablem Lernen

• Reminiszenzeffekt

• Wirkung von massiertem und verteiltem Üben

Für detaillierte Erklärungen verweise ich auf meine Arbeit 'Bewegungslernen am Beispiel Schlagzeug' geschrieben für das Fach Psychologie und Pädagogik im Herbst 1998, unterrichtet von Walter Hess an der Jazz Schule Luzern

 

5.4.3 Kontrollmittel für den Schüler

5.4.3.1 exemplarisches Üben

Exemplarisches Üben ist eines der wichtigsten Mittel im Unterricht um sicherzustellen, dass die behandelten Themen von den Schülern auch verarbeitet werden können. Je tiefer das Niveau, desto mehr Aufwand sollte betrieben werden um dem Schüler die nötige Sicherheit zu geben. Dies erreicht man genau durch das gemeinsame Durcharbeiten. Der Schlüssel zum exemplarischen und später selbständigen Üben ist, dass der Schüler Beurteilungskriterien mit erlernt. Er muss mit Sicherheit sagen können, ob er die Übung gemeistert hat oder nicht.

Je weiter ein Schüler fortgeschritten ist, desto kürzer können diese exemplarischen Übungsphasen in der Lektion ausfallen. Im Extremfall können sie sogar ganz wegfallen, dann nämlich, wenn der Lehrer den Schüler gut kennt und ihm ein selbständiges Studium der Materie zutraut. Auf dieser Stufe werden dann mehrheitlich Informationen (Wissen) vermittelt, woraus der Schüler seine Fähigkeiten (Können) vergrössern kann. Auf durchschnittlichem Musikschulniveau dürfte dies aber sehr selten der Fall sein.

5.4.3.2 Gedächtnis- und Erlebnisstützen

Als weiteres Kontrollmittel, das es dem Schüler vereinfachen kann zuhause richtig weiter zu arbeiten bietet sich die Möglichkeiten, den ganzen oder nur entscheidende Teile des Unterrichts festzuhalten. Dies kann mittels Tonband/MiniDisc oder in schriftlicher Form geschehen. In Form einer Aufnahme können dem Schüler auch Aufgaben erteilt werden wie 'schreibe diese 4 Takte in korrekter Notation aus' oder 'lerne diese 4 Takte nach Gehör auswendig und lerne sie zu spielen' und ähnliches. Es kann hilfreich sein, dem Schüler einen Rhythmus, den er ab Noten immer wieder falsch interpretiert, auf diese Art mit nach Hause zu geben um sicherzugehen, dass er ihn kontrollieren kann.

Aber auch das Aufschreiben der zu bearbeitenden Übungen kann Ordnung und Klarheit bringen. Wenn der Schüler nämlich eine Aufgabe in eigene Worte formulieren muss, macht er sich seine für ihn zuhause nachvollziehbaren Gedanken. Die Erinnerung wird dabei stärker verankert und die mit der Notiz verknüpften Gedanken können beim Üben als Arbeitsgrundlage dienen.

Deklarative Informationen (Wissen) werden vom Gedächtnis schnell wieder vergessen falls sie nicht immer wieder abgefragt werden. Um ständige Wiederholung von solchen meist allgemeinbildenden Themen zu vermeiden, empfiehlt es sich diese in schriftlicher Form abzugeben. Bei Bedarf kann sie der Schüler dann wieder in Erinnerung rufen.


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