II Tatsachenberichte,

Dokumentationen aus der Praxis

 

Erster Teil

eine Fallstudie am Didaktik-Opfer

 

1. Anfangsbericht Didaktik-Schüler

1.1 Abklärung der Voraussetzungen und Zielformulierungen

Es wurde mit dem Schüler ein Eingangsgespräch geführt um Vorgehensweisen und Möglichkeiten zu erörtern. Ebenso wurde über Zielsetzungen, Erwartungen und Motivation diskutiert. Um das Bild zu vervollständigen wurde der Schüler zusätzlich angewiesen den folgenden Fragebogen zuhause auszufüllen.

Fragebogen zur Abklärung für Schlagzeugunterricht

 

Name M.H. Datum x.x.xxxx

Alter 26

Allgemeines

Hast Du bereits andere musikalische Vorbildungen.? Spielst Du ein anderes Instrument? (oder mehrere)

Kontrabass, E-Bass Ausbildung Jazz Schule Berufsklasse

Hast Du bereits Banderfahrung?

nur mit Bass

Was sind Deine musikalischen Ziele? Von welchem Niveau träumst Du?

Ich stelle mir kein bestimmtes Niveau vor

Was reizt dich am Instrument Schlagzeug?

Groove

Was hörst Du für Musik?

vor allem Jazz

Was spielst Du am liebsten für Musik?

Jazz, Rock/Funk und Latin auch

Wann hast Du zum ersten Mal hinter einem Schlagzeug gesessen?

vor etwa 14 Jahren

Üben

 

Übst Du gerne gezielt oder spielst Du lieber drauflos?

beides

Beschreibe Deine Übungssituation:

Instrument: gut p mittel p3 schlecht p

Übungsraum: ideal p nicht speziell p3 uncool p

Konzentrationsfähigkeit: gut p3 mittel p3 schlecht p

Wieviel Zeit gedenkst Du wöchentlich am Instrument zu verbringen?

so viel wie möglich (ohne Euphorismus)

Wieviel davon wirst Du mit Übungen aus unserem Unterricht verbringen?

die Hälfte

Erkennst Du bei Dir subjektive Schwächen?

Technik

Erkennst Du bei Dir subjektive Stärken?

Time und Groove

Hast Du schon einen Schlagzeugpart bewusst von einer Aufnahme kopiert?

nein

Hast Du schon Schlagzeugparts transkribiert? Wenn ja welche Songs?

nein

 

Konkretes

Mit welchem Stil möchtest Du Dich als erstes beschäftigen?

Jazz

Nenne mir einen coolen Drummer (dieses Stils) und sage mir wieso er cooler ist als andere:

Jack DeJohnette tja, ....

Nenne mir einen Song (in diesem Stil) dessen Schlagzeugpart dich beeindruckt und sage mir warum? (bitte in die nächste Lektion mitbringen)

Solar (Keith Jarret, Tribute)

Was möchtest Du von mir erfahren? Stelle mir drei Fragen:

1. Ist Technik sehr wichtig?

2. Zeigst Du mir die Besen-Technik

3. Ist es schlimm für Dich, wenn ich mal nicht viel übe?

 

1.2 Einschätzung der Gegebenheiten

Der spielerische Umgang mit dem Instrument, die musikalische Vorbildung und das zu beobachtende Talent zeigen ein grosses Potential, das es auszunutzen gilt. Da Musikalität und Motivation vorhanden sind, gilt es die aufgewendete Zeit möglichst effizient einzuteilen und einzig unterhaltende Aktionen auf ein Minimum zu beschränken.

Die Diskrepanz zwischen musikalischer 'Vorbildung' und dem Können auf dem Instrument lassen einerseits erwarten, dass bei musikalischen Anwendungen von erlerntem Material keine Probleme auftreten. Ebenso wird ein zügiges Vorankommen erwartet, da Transfereffekte in Rhythmik, Formgefühl, Dynamik, Hörgewohnheiten, Klangsensibilität und dergleichen auftreten werden. Andererseits birgt diese Diskrepanz auch die Gefahr in sich, dass nach einer anfänglichen Begeisterung, wie sie bei allen Anfängern zu beobachten ist, Frustration auftauchen kann, falls die Umsetzung der eigenen Ideen allzustark und allzu-lange durch mangelnde instrumentale Fähigkeiten behindert wird. Die Komponenten Koor-dination und Technik sind die beiden Elemente des Schlagzeugspiels, die diese Umsetzung am meisten behindern und die beim Schüler am dringendsten bearbeitet werden sollten. Deshalb werden Technik und Koordination die zentralen Themen des Lehrplanes bilden. Es gilt dabei ein Verständnis für die Wichtigkeit dieser Elemente zu schaffen und möglichst erfolgversprechende Arbeitswege aufzuzeigen, die beim Schüler durch Fortschritte die Motivation nähren.

 

1.3 Ziele

1.3.1 Ziele des Schülers

• Der Schüler möchte sich mit Jazz befassen

• Der Schüler möchte die Besentechnik erlernen

• Der Schüler möchte in ferner Zukunft einen Standard-Gig spielen können.

• Der Schüler möchte ungezwungen arbeiten und noch genug Zeit für selbständiges
Erforschen von Stilen und Rhythmen haben.

 

1.3.2 Ziele des Lehrers

• Die vorhandene Motivation und Spielfreude soll unbedingt erhalten werden.

• Der Schüler sollte Kenntnisse über Lerntechniken für Bewegungslernen erhalten um
seine Übungszeit zu optimieren, bzw. sollte er diese Techniken auf andere Gebiete oder
Stile übertragen können.

• Der Schüler sollte sich schlagzeugspezifische Übungskonzepte aneignen und so auch zum
selbständigen Studium animiert werden

• Der Schüler sollte ein grober geschichtlicher Überblick über das Instrument und seine
Spielweisen in der ausgewählten Stilart erhalten.

• Der Schüler sollte für Klangkultur am Instrument sensibilisiert werden.

• Der Schüler sollte auf die physische Wahrnehmung beim Schlagzeugspielen sensibilisiert
werden.

• Der Schüler sollte in der Lage sein in einer Bandsituation einfache Standards zu interpre-
tieren.

• Dem Schüler sollte durch Koordinationsübungen und technische Übungen dazu verholfen
werden seinen eigenen Entdeckungen im freien Spiel nachzugehen.

 

 

1.3.3 Zielvereinbarungen

Um den (vom Schüler) gestellten Erwartungen nachzugehen, ist es sinnvoll sich so intensiv wie möglich mit dem Thema Jazz zu beschäftigen. Da sich das Gebiet Jazz auf dem Schlagzeug arbeitsintensiv präsentiert, wurde für die überblickbare Zeit bis Juni '99 vereinbart, keine anderen Stilarten einzubeziehen. Das Lernprogramm wird vollumfassend dieser Zielsetzung untergeordnet. Koordination und Technik wird anhand von im Jazz angewandten Mustern vermittelt und möglichst praxisorientiert behandelt. Allerdings legt der Lehrer Wert darauf eine solide und vielseitig anwendbare Instrumentaltechnik zu vermitteln, die den Schüler längerfristig nicht auf den Bereich Jazz einengt.

 

1.4 individueller Lehrplan

1.4.1 Grundsätzliches

Dem Schüler sollen primär gute Lernvoraussetzungen vermittelt werden, so dass sich eine von Grund auf natürliche Art sich zu bewegen entwickeln kann. Grundsätzlich soll der Schüler eine Haltung am Instrument erlernen, die im Einklang mit den physikalischen Gegebenheiten und seinen physischen Voraussetzungen steht. Den Zusammenhang zwischen Bewegung und Haltung am Instrument und den daraus resultierenden Gesetzmässigkeiten sollte der Schüler bewusst erkennen.

Als Schwergewichte sollten die Erarbeitung einer zentrierten Koordination und einer soliden Instrumentaltechnik gesetzt werden.

 

1.4.2 Spezifisches

Aus den vielfältigen Techniken sollen gemeinsam mit dem Schüler diejenigen extrahiert werden, die für die individuellen Bedürfnisse und Ziele des Schülers relevant sind.

Hand-Technik kann in der Anfangsphase auf körpergerechte, natürliche Bewegung reduziert werden. Sie wird isoliert beleuchtet (snare/pad) damit anfänglich die ganze Aufmerksamkeit darauf verwendet werden kann. Die Übungen sollen deshalb auch intellek-tuell und rhythmisch einfach gehalten werden. Auf eine symmetrische Ausbildung beider Hände soll ebenfalls geachtet werden. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei immer auf eine lockere und flüssige Bewegung. In einer ersten Phase soll vor allem der kontrollierte Einsatz der Handgelenke erlernt sowie deren Beweglichkeit und Agilität verbessert werden. Der Einsatz der Finger soll vorerst nur der Kontrolle dienen ohne sich aktiv an den Schlägen zu beteiligen. Am Instrument erfolgen zum gegebenen Zeitpunkt spezielle Anwendungen (Grooves, Fills usw.). Durch Automatisieren dieser bewusst erlernten Bewegungen sollen sie ins freie Spiel oder anders fokussierte Übungen einfliessen.

Fuss-Technik (sowie auch Koordination) kann in meinem Unterrichtskonzept zu einem wesentlichen Teil auf Gleichgewicht reduziert werden. Sie wird aus denselben Gründen isoliert (ohne Beschäftigung der Hände) betrachtet wie die Hand-Technik. Auch hier sollen sie durch Automation ins Spiel einfliessen.

Es wird dabei von Anfang an auf ein möglichst breites Klangspektrum hingearbeitet. Aufgrund der Zielformulierung des Schülers sollte eine relaxte heel-up-Technik, bei der das Pedal nicht in das Fell hineingedrückt wird, gelehrt werden. Diese Technik erlaubt es einerseits, die im Jazz gängigen 'offen' gestimmten Bassdrums mit geschlossenem Frontfell zu spielen. Andererseits wird dabei dieselbe Koordination verwendet, die beim kräftigeren Spiel im Rock und verwandten Stilen benötigt wird. Zwar liegt im Unterricht der stilistische Schwerpunkt auf Jazz, jedoch möchte der Schüler ebenfalls Rock und Verwandtes spielen können. Dies ist nur mit dieser Technik ohne umlernen möglich.

 

Grundlegendste Koordination der Extremitäten wird anhand von mehr oder weniger kombinatorischen Trainingsübungen erarbeitet, mit Hauptaugenmerk auf korrekte Haltung und Gleichgewicht. Weitere Koordinationsübungen werden als stiltypische Anwendungen vermittelt. Dabei wird auf einen umfassenden und systematischen Aufbau geachtet.

Schlagzeugnotation sowie rhythmisches Notenlesen soll in die stilistische, koordinative und technische Arbeit einbezogen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt können einfache Chart-Interpretationen erfolgen.

Anwendungen, freies Spiel: Nicht zuletzt soll auch die Fähigkeit gefördert werden, mit der erlernten Materie frei umzugehen, sie variabel anzuwenden und auf äussere Einwirkungen zu reagieren. Dies geschieht entweder im Zusammenspiel mit dem Lehrer, mit Metronom-übungen oder durch das Spiel mit Play-alongs.


Copyright '99 by Chris Diggelmann